Schartz, S: Elfenzeit 20: Der Atem der Unsterblichkeit
einmal für sie getanzt und sie dadurch getröstet.
»Da sind wir also wieder …«, murmelte sie.
»Ja.« Der Weiße Pfau schlug ein Rad und trippelte auf sie zu. »Was du tust, Nadja, ist die Rettung der Welten. Gib nicht auf, ich bitte dich. Nur du kannst es.«
»Ja, klar, das ganze Programm rauf und runter. Geht’s mit noch mehr Klischee?«
»Aber so ist es. Du bist jetzt hier.«
»Nicht, weil ich es wollte! Der Getreue hat mich hierher geschleudert, weil er stinksauer auf mich war! Für ihn ist das eine Bestrafung, nicht mehr, und ich halte sowieso nicht mehr lange durch.«
»Du redest Unsinn.«
»Na, irgendeinen Sinn muss das doch alles haben, oder? Un-Sinn ist immer noch besser als Kein-Sinn. Moment mal.« Nadja dämmerte es. »Genau das habe ich zu ihm gesagt, und das hat ihn so wütend gemacht. Ich habe ihn infrage gestellt! Okay, da wäre ich auch sauer. Ich meine, da bin ich so ziemlich das mächtigste Wesen der Welt, und dann erklärt mir ein kleiner Pimpf, dass alles Mist ist, was ich mache. Nachdem ich mir so viel Mühe gegeben habe!«
Seltsame Laute drangen an ihr Ohr, und Nadjas Blick glitt hektisch suchend die Nicht-Wände entlang. Hörte sich nach winzigen Hubschraubern an, also wieder Zwischenweltwesen, die sie piesacken wollten.
Zu einem Schrei kam Nadja gar nicht mehr. Schon waren sie da, griffen sie an, mit Beißwerkzeugen und Stacheln! Sie konnte die Tiere kaum erkennen, so schwarz waren sie. Und es tat weh. Sie versuchten alles, um Nadjas Hände zu lösen, sie in die Knie zu zwingen. Den Insekten folgten Vögel, die an ihr herumpickten und an ihren Haaren zerrten.
»Sieh mir zu«, forderte Pavo die junge Frau auf.
»Du bist ja immer noch da«, sagte Nadja keuchend. Sie war erschöpft vom Schreien und längst über das Stadium der Panik hinaus.
Der Weiße Pfau fing an zu tanzen, und nach einer Weile konnte Nadja sogar die Musik dazu hören. Sie klang sphärisch, himmlisch, und sein Tanz war es auch.
»Ich tanze für dich«, flötete er ebenso melodisch, »damit du standhaft bleibst.«
Sie sah ihm zu. Ihr Herzschlag beruhigte sich. Rings um sie öffneten sich die Welten, die sich immer mehr ineinanderschoben. Nadja sah die erstarrte Menschenwelt, in der alles angehalten schien. Sie sah die Schlacht in der Anderswelt, nichts sonst gab es mehr. Schwerter in allen Größen und Formen, die Körper in Stücke schlugen. Äxte und Hämmer, Morgensterne, Keulen, Peitschen, Sicheln, Pfeile, Lanzen, Speere. Lebende Explosivgeschosse, Gift, magische Duelle. Sirenen ließen ihre grausamen Stimmen erschallen, Flammenteppiche legten sich über ganze Hundertschaften, achtarmige Aerins verstreuten ihre Flüche, Frostsöldner schleuderten Eis und Schnee. Von den Sturmgeistern gar nicht erst zu reden, den Dolchbaumlingen und all den anderen …
Schwarz und Blut, nichts weiter. Berge von Leichen und Zerstückelten, über die die Lebenden mit Spießen im Anschlag hinwegstiegen und sie dem Feind in den Körper rammten.
Dort war die Geisterwelt, lehnte sich schon sehr stark an; Konturen verschwammen, der Boden zerfloss.
Und zuletzt sah Nadja, wie sich ihr gegenüber ein Schleier hob, der einen blühenden Garten mit einem großen Baum voller goldener Äpfel entblößte. Am Ende des Gartens, in fast demselben Weiß wie Nadja, stand ein riesiger Gott, das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern.
»Atlas …«, flüsterte sie.
Er hob den Kopf und sah zu ihr. »Ist es wahr?« Seine Stimme klang rau und ungeübt. Und trostlos. »Er sagte mir, es würde dazu kommen. Ich würde erlöst. Ist es so weit?«
Nein. Nein, nicht schon wieder. Ich glaube es nicht …
»Der Getreue, auch Mann ohne Schatten genannt«, sagte Nadja leise. »Was hat er dir versprochen?«
»Kein Versprechen, holde Maid, ein Handel. Sein Anteil war, dass ich am Ende frei wäre.«
Nadjas Augen brannten vor Mitleid. Nun gut, Zeit mochte für einen Gott nur eine geringe Rolle spielen, aber dennoch … »Du
bist
frei, Atlas«, sagte sie sanft. »Es ist niemand mehr da, der diese Bürde noch aufrechterhalten könnte. Alle sind gegangen, schon lange. Du bist der Letzte. Wenn du nur gewollt hättest … hättest du einfach gehen können.«
Der Blick, mit dem der Gott sie ansah, berührte sie tief. »Danke«, sagte er leise und demütig. »Aber was wird dann geschehen? Wird alles zusammenstürzen?«
»Nein. Ich bin doch da. Ich bewahre es.«
»Es … tut mir leid …«
Nadja schüttelte den Kopf, und plötzlich fühlte sie sich ganz
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