Schatten Blut
getan, Kind. Und dafür sind wir dir alle sehr dankbar.«
Ein Lächeln schlich auf meine Lippen. »Gern geschehen. Wobei … Wer ist wir?«
»Glaubst du wirklich, ich sei bereits das Höchste der himmlischen Hierarchie?«
»Der Chef steht sicherlich an oberer Spitze«, gab ich trocken zurück.
»Das ist richtig. Und nicht nur ihm bin ich Antworten und Rechenschaft schuldig, Kind. Das zu erklären, würde den Rahmen sprengen.« Ich fühlte, wie er sich erhob und zurücktrat. »So viel sei gesagt, Kind: Du bist der Anker seiner Seele, das Leuchtfeuer, welches ihn im Hier hielt, als er zu schwinden drohte. Du bist der Sinn seines Seins, auch wenn er sich noch immer dagegen wehrt. Halte aus, Kind, und die alten Prophezeiungen werden Wirklichkeit.«
Ob seiner Worte schluckte ich hart. »Dir ist klar, dass du mir gerade eine ziemlich schwere Verantwortung aufbürdest?«
Er lachte dermaßen laut, dass es durch das alte Gewölbe hallte. »Kind! Du hast sie doch längst ergriffen, frei von jeder Einmischung. Deine Entscheidung fiel, als du ihn das erste Mal sahst. Was muss daran geklärt werden?«
Erstaunt blinzelte ich ein paar Mal. »Ihr habt nichts daran gedreht?«
»Nein, Kind. Wir dürfen leiten und zusammenführen. Aber in den freien Willen des Menschen einzugreifen ist uns nicht gestattet.«
»Und ein Vampir darf das alles? Manipulieren und Leben zerstören? Könnt ihr da nicht eingreifen?« Als er bedauernd mit dem Kopf schüttelte, schnaufte ich undamenhaft. »Das ist doch ungerecht!«
»Niemandem ist gestattet, sich unerlaubt in die Belange eines anderen einzumischen, mein Kind. Nur halten sich nicht alle an dieses Gesetz.«
»Moment!« Ich sprang auf. »Wenn ich einem Vampir einen Pflock ins Herz stoße und ihn damit quasi umbringe, mische ich mich doch auch in seine Belange. Ich glaube kaum, dass er sich freiwillig zur Verfügung stellt. Oder sehe ich das falsch?«
»Auch die Dunkelheit hat die freie Wahl, Kind. Siehe Thalion. Er hat sich entschieden, dem Licht soweit entgegenzukommen wie es ihm sein Wesen erlaubt. Doch nicht Jeder ist sich dessen bewusst. Und um deine Frage zu beantworten, sage mir: Kannst du etwas Totes noch töten? Kannst du etwas Zerstörtes noch zerstören?«
Nun wurde es philosophisch. Und mit einem Engel über Philosophie zu diskutieren, würde mich sicherlich an den Rand des Begreifbaren bringen. Ich entschied mich daher für ein einfaches: »Nein.«
»Dann ist deine Frage bezüglich dieser Moral hinfällig, Kind.«
»Also ist es durchaus legitim, diese Beißer ins Jenseits zu befördern?«
»Erwartest du durch mich eine Absolution für dein Handeln, so kann ich sie dir nicht geben. Entscheide selbst, was richtig und was falsch ist. Und entscheide selbst, wann etwas richtig und wann es falsch ist.«
Das verstehe wer will. Und doch versuchte ich es: »Wenn ich es als richtig empfinde, Thalion zu retten und gleichzeitig als richtig empfinde, Lagat zu pflocken, dann ist das auch richtig?«
»Richtig«, gab er knapp zur Antwort.
Aha. Demnach lag es vollkommen in meinem Ermessen, wie ich etwas auslegte. Das müsste man nur diversen Gerichten und einem Massenmörder erklären, der seine Morde ebenfalls mit der Richtigkeit seines Handelns rechtfertigte.
Du vergisst, dass du ein Gewissen hast, Faye McNamara, das dir die Balance zwischen beiden Möglichkeiten erörtert. Nutze es.
Ich quittierte diesen Einwand mit einem kräftigen Nicken. Stimmt! Zweifel und Gewissen waren sehr gute Verbündete. Und ich stellte gleichzeitig fest, dass er das erste Mal in diesem Gespräch meinen Namen genannt hatte.
»Michael?« hielt ich ihn auf, bevor er entschwinden konnte. Ich fühlte seinen fragenden Blick auf mir ruhen und schmunzelte. »Bin ich jetzt eigentlich drin oder draußen?«
Sein lautes Lachen schüttelte mich regelrecht durch. Dann vernahm ich wie aus weiter Ferne die Antwort: Du bist beides, Faye. Durch deine physischen Grenzen außerhalb und durch deine Seele doch in Allem und mit Allem verbunden. Du kannst nie verloren gehen, du kannst nur dich selbst verlieren. Achte auf dich.
Mit Dank auf den Lippen blickte ich auf und stellte zu meiner Überraschung fest, Michael war bereits fort. Wie zu Beginn, spendeten die beiden Kerzen neben dem Altar flackerndes Licht und der Blick aus den Fenstern der Kapelle bezeugte, dass die Nacht bereits angebrochen war. Meine Audienz war beendet.
Müde, aber beruhigter als zuvor, machte ich mich auf den Rückweg. Michael hatte mir gesagt, dass
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