Schatten Blut
wissen, damit ich weiß, wo ich selbst in diesem ganzen Spiel stehe.«
Ich fühlte seinen Blick auf mir ruhen, hörte ein leises Seufzen, ehe ich zum ersten Mal seine Worte tatsächlich vernahm. Es war eine volle, tiefe Stimme, die bei mir eine Gänsehaut verursachte: »Er ist das, was wir einen Schattengänger nennen, Kind. Jemand, der sowohl im Licht als auch im Schatten agieren kann. Ein Wesen, das für beide Seiten arbeitet ohne dabei auf einer zu stehen, und das dadurch in Bereiche gelangt, die für uns, sowie die Gegenseite versperrt bleiben.«
Ich nickte knapp. »Verstehe. So etwas wie ein Doppelspion oder Wächter. Darian erwähnte, dass das Gleichgewicht gewahrt bleiben müsse.«
»Von deinem Gesichtspunkt aus gesehen, ist diese Definition richtig, Kind. Und Darian tut genau das.«
»Und das, was vor vielen Jahren mit ihm geschah, ist der Grund dafür?« hakte ich leise nach.
»Du weißt um die Austreibung, die an ihm vorgenommen wurde.«
»Ja. Er sagte, es wäre schief gegangen. Die Priester hätten einen Fehler begangen.«
»Aus seiner Sichtweise heraus war dem so. Doch war dieser Fehler gewollt, Kind, denn nur dieser machte ihn zu dem, was er ist.«
»Ihr hattet die Finger im Spiel?« empörte ich mich. »Habt ihr nicht bedacht, dass er dadurch weder zu der einen noch der anderen Seite gehören wird und somit alleine dasteht?«
»Und genau das macht ihn unantastbar.« Ich fühlte ihn lächeln. »Dennoch ist er niemals ganz allein, Kind. Seit langer Zeit schon wird er von Menschen mit deinen Fähigkeiten begleitet. Deine Familie ist seit vielen Jahren sein Begleiter. Du wurdest für ihn als Gefährtin erwählt, die ihm die Stabilität gibt, um das sensible Gleichgewicht wahren zu können. Es gab Zeiten, da drohte er zu kippen.«
»Auf die dunkle Seite? Deswegen hat er seine Seele zurückerhalten?«
»Vor sehr langer Zeit hat er einen Seelenanteil erhalten, Kind.«
Verblüfft starrte ich ihn an. »Es ist nicht sein eigener?«
»Es ist seine Seele. Der größte Teil seiner Seele, Kind, wurde im Augenblick der Verwandlung vernichtet, als er den Kuss erhielt. Genau in dem Moment, als ihn die Dunkelheit umgab, sein Leib starb und er wieder erwachte. Es war kaum mehr von ihm übrig, als die Erinnerungen, die noch vom vorherigen Tag in ihm lebten. Eben jene Düsternis, die den meisten seiner Art noch innewohnt. So musste bei Dahad das, was noch vorhanden war, mit einem anderen Teil ergänzt werden.«
»Klingt wie Flickschusterei«, murmelte ich nachdenklich und erhielt ein sanftes Lächeln. »Sei versichert, dass die größtmögliche Sorgfalt angewandt wurde, als er zurück ins Licht befohlen ward.«
Wusste Darian darüber Bescheid? Für mich wirkte es, als wäre ihm das verheimlicht worden. Noch mehr ärgerte mich die Tatsache, dass ich keine Ahnung zu haben schien, wen oder was ich da eigentlich liebte. Wer hatte was abgegeben?
»Und was habt ihr ihm als Ergänzung gegeben?« sprach ich meinen Gedanken laut aus und verzog das Gesicht. »Wer hatte gerade einen Teil übrig? Nicht, dass Darian Schuld daran ist, dass der Herr der Unterwelt einen Huf als Fuß hat, weil er einen seiner netten Seelenanteile opferte und ihm genau an der Stelle etwas fehlt.«
»Deine Vorstellung über den Lichtbringer ist dogmatisch geprägt, Kind. Ich kann dir versichern, dass er weder Hufe als Füße hat noch einen Teil seiner Seele vermisst. Sein Erscheinungsbild ist der Vorstellung des Menschen entsprungen und hat mit dem, was er ist, kaum etwas gemein. Und sei versichert, das Universum würfelt niemals.«
Mit jedem Wort Michaels war ich kleiner geworden und zuckte nun endgültig zusammen. Trotz seiner ruhigen Ansprache hatte ich nie zuvor einen effektiveren Rüffel erhalten. Ich schämte mich aufrichtig.
»Mein Kind«, sprach er nun sanfter. »Meinst du nicht, dass es unwichtig ist, welche Farbe oder Gestalt jemand hat, solange das Ergebnis das ist, welches du liebst? Spielt es eine Rolle zu wissen, wer etwas von sich gab, damit Darian zu dem werden konnte, was er letztendlich wurde?«
Verlegen schüttelte ich den Kopf. Nein, es war unwichtig. Zumindest für mich.
»Siehst du. Dein Herz kennt den Weg, Kind. Und das ist das Einzige, was zählt.«
»Dann ist es meine Aufgabe, ihn auf der so genannten lichten Seite zu halten?« erkundigte ich mich zweifelnd. Michael nickte und das war mir Antwort genug. »Dann werde ich tun, was notwendig ist, ihn im Gleichgewicht zu halten, Michael.«
»Du hast es bereits
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