Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
durch
und nahm ab.
»Hi«, antwortete es am anderen Ende.
Anscheinend war es ihm genauso unangenehm wie mir. Eine Spur von Vorsicht lag
in seiner Stimme, ganz so als wolle er keinen falschen Ton treffen.
Ich schwieg. Was sollte ich auch
sagen? Ein einfaches ›Hallo‹ fand ich nicht angemessen und zu mehr Worten
fehlte mir die Kraft.
»Natascha hat mich gebeten, es dir
auszurichten. Auch wenn ich der Meinung bin, dass das alles völliger
Schwachsinn ist. Du kannst also ohne schlechtes Gewissen absagen, ich würde es
auch tun, aber ich bin ja nun mal…«
»Ähm, wovon redest du denn überhaupt?«
Hatte ich die Einleitung nicht mitbekommen? Wozu sollte ich denn nein sagen? Was
sollte er mir ausrichten?
»Oh ja stimmt, das hab ich ja gar
nicht gesagt«, stotterte Alexander und es schien, als sei seine Vorsicht nicht
die Antwort auf meinen Zustand gewesen, sondern vielmehr ein allgemeines
Unbehagen, dass er mit sich herumtrug. Er stöhnte auf und ich sah förmlich vor
mir, wie er seine Brille nach oben schob. »Natascha will einen Baby Shower
veranstalten.«
»Einen bitte was?« Ich verstand immer
noch kein Wort.
»Einen Baby Shower. Das ist so ein
amerikanisches Ding. Du weißt ja wie sie immer ist.«
Tatsächlich, das Bild wurde klarer.
Natascha war als kleines Kind mit ihren Eltern aus Kasachstan nach Deutschland
gekommen. Es war für sie die große, weite, offene Welt. An sich schon die pure
Ironie, aber als Kind sieht man ja bekanntlich vieles anders. Und da
Deutschland im Endeffekt doch nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten
war, sehnte sie sich nach der vollkommenen Freiheit – den USA. Sie kannte jedes
Brauchtum, jede Tradition. Sie feierte kein Erntedank sondern Thanks Giving.
Sie hing Socken an einen aus Pappmaschee zusammengebauten Kamin. Und nun wollte
sie einen Baby Shower, eine Party zu Ehren der werdenden Mutter.
»Ich verstehe. Das tut mir leid Alex.«
Das tat es wirklich, denn ich wusste, wie sehr ihn dieser Wahn manchmal zur
Weißglut brachte. Aber wie könnte er schon seiner schwangeren Frau auch etwas
abschlagen? »Wird es auch solche komischen Spiele geben?«
»Ich fürchte ja«, und wieder stöhnte
er hörbar auf. »Wenn du also nicht kommen willst, kann ich das voll verstehen.
Ich lass mir irgendetwas einfallen, damit sie es nicht persönlich…«
»Ich hab doch noch gar nicht nein
gesagt«, unterbrach ich ihn und das schlechte Gewissen kam wieder in mir hoch.
Natascha war meine Freundin, sie war schwanger und bis auf das belauschte
Gespräch hatte ich dieses schöne Erlebnis bisher nicht mit ihr geteilt. Während
ich mich voll dem Schmerz hingegeben hatte, trug sie ein neues Leben in sich
und ich konnte nur zu gut verstehen, dass sie dieses Glück mit allen teilen
wollte. Ich war es ihr einfach schuldig. »Sag ihr bitte, dass ich sehr gern
kommen werde. Aber ich fange nicht an, irgendwelche Babybreisorten zu verkosten«,
kicherte ich in den Hörer und Alexander erwiderte es. Es musste ihn einiges an
Überwindung gekostet haben, dieses Gespräch mit mir zu führen.
»Ok, du hattest die Wahl, selbst
schuld«, witzelte er nun hörbar erleichtert. Zumindest ein vernünftiger Mensch
würde ihm beistehen. Ich musste an Jessica denken, für sie war es genau das
Richtige. »Ich schick dir die Einladung per Mail. Bis dann«, sprach er und
legte auf.
Ich würde auf eine Baby Party gehen.
Unbefangen, unschuldig, vielleicht sogar amüsant. Aber augenblicklich schürte
es mir den Magen zu. Ich hatte die beiden so gern, ich gönnte es ihnen und doch
erfüllte mich purer Neid. Neid auf das Glück, dass sie im Moment erfüllte. Neid
darauf, dass sie das hatten, was ich niemals, oder zumindest unerreichbar fern,
haben würde.
»Emilia, schön Sie wieder zu sehen«,
hörte ich die Stimme von Herrn Merckel hinter mir und drehte meinen Stuhl in
seine Richtung. »Ich wollte Ihnen nochmals für den Einwand auf der Konferenz
danken. Das war mal wieder saubere Arbeit – weiter so. Geht es Ihnen
einigermaßen besser?«
»Ja, ich denke schon.«
»Gut, dann viel Erfolg bei der
weiteren Arbeit und bitte übertreiben Sie es nicht für den Anfang.«
»Ich werde es mir zu Herzen nehmen.«
Als er ging widmete ich mich wieder
meinem Berg unerledigter Aufgaben. Ich sortierte die Berichte der vergangenen
Woche, konsultierte die Designabteilung für ein paar Feinabstimmungen und
bereitete mich auf die nächste Durchsprachesitzung kommende Woche vor.
»Ach Liebes, du hast uns sehr gefehlt«,
säuselte
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