Schatten der Liebe
verhielt sich Philip im wesentlichen nicht anders als jeder andere Präsident einer bedeutenden Warenhauskette, das wußte sie. Was Meredith an ihrem Vater störte, war denn auch nicht das, was er forderte, sondern die brüske, autokratische Art, in der er gegen seine Mitarbeiter vorging. Die Leute, die an diesem Tisch saßen, hatten sich ihren Beruf ausgesucht. Sie wußten, auf was sie sich dabei einließen, daß eine Sechzig-Stunden-Woche eher die Regel als die Ausnahme war und daß sie hart um ihre Position würden kämpfen müssen. Das war auch Meredith klar gewesen, und sie war sich der Tatsache bewußt, daß sie noch härter, noch länger und noch effektiver als alle anderen würde arbeiten müssen, um eines Tages den Posten des Präsidenten zu erhalten - der ihr, wenn sie als Mann geboren worden wäre, automatisch zufallen würde.
Als sie sich jetzt in die Debatte einmischte, wußte sie, daß sie vielleicht den Respekt ihres Vaters erringen konnte, daß sie aber gleichzeitig das ungleich größere Risiko einging, seinen Zorn zu erregen. Er blickte nur kurz in ihre Richtung. »Was würdest du vorschlagen, Meredith?« fragte er, ohne zuzugeben oder abzustreiten, daß die fragliche Regelung seine eigene Idee gewesen war.
»Das gleiche, was ich schon das letzte Mal vorgeschlagen habe - daß Studenten, über die nichts Negatives bekannt ist, eine Kundenkarte erhalten; allerdings mit einen gegrenzten Kreditrahmen, sagen wir fünfhundert Dollar, im ersten Jahr. Wenn Allens Leute am Ende dieses Jahres mit der Zahlungsmoral zufrieden sind, kann das Maximum des Karteninhabers hinaufgesetzt werden.«
Einen Augenblick lang sah er sie nur ausdruckslos an, dann wandte er sich ab, als habe sie nichts gesagt. Eine Stunde später schloß er die Hirschledermappe mit seinen Konferenznotizen und blickte die Geschäftsführer an: »Ich habe heute einen außerordentlich vollen Kalender, meine Herren - und Damen ...«, fügte er in herablassendem Ton hinzu, der Meredith wie immer fast an die Decke gehen ließ. »Wir werden für heute Schluß machen. Vielen Dank. Die Sitzung ist beendet. Allen«, setzte er, an den Finanzleiter gewandt, leise und tonlos hinzu, »bieten Sie Studenten, die nicht kreditunwürdig sind, einen limitierten Kreditrahmen in Höhe von fünfhundert Dollar an.«
Das war alles. Weder würdigte er Merediths Idee, noch zollte er ihr selbst in irgendeiner Weise Anerkennung. Damit verhielt er sich wie immer, wenn seine talentierte Tochter exzellentes Urteilsvermögen bewies: Er übernahm ihre Vorschläge, ohne zuzugeben, daß sie für das Kaufhaus von Vorteil wären. Aber sie waren vorteilhaft. Das wußten alle. Auch Philip Bancroft.
Meredith sammelte ihre Papiere ein und verließ neben Gordon Mitchell den Konferenzraum. Mitchell und Meredith waren von allen Anwärtern auf das Amt des Interimspräsidenten die beiden aussichtsreichsten. Und beide wußten es. Mit siebenunddreißig hatte Mitchell mehr Erfahrung als sie, und das gab ihm einen gewissen Vorsprung. Andererseits war er erst seit drei Jahren für Bancroft's tätig. Meredith arbeitete seit sieben Jahren für die Firma, und außerdem, was noch viel mehr zählte, war sie diejenige gewesen, die die Expansion in andere Großstädte vorbereitet und erfolgreich durchgeführt hatte. Sie hatte erst ihren Vater und dann die Banken davon überzeugt, diese Expansion zu finanzieren, hatte selbst die Standorte ausgewählt und sich selbst um die Bauarbeiten und die Ausstattung dieser Filialen gekümmert. Meredith hatte den anderen Anwärtern und auch Mitchell noch eine weitere Eigenschaft voraus: Sie war flexibel. Und sie kannte Bancroft's durch und durch. Als Gordon sie jetzt kurz von der Seite ansah, bemerkte sie den berechnenden Ausdruck in seinen Augen. »Philip hat mir erzählt, daß er auf Anordnung der Ärzte eine Kreuzfahrt machen wird«, begann Gordon, als sie den breiten Flur an den Büros der Vizepräsidenten vorbeigingen. »Wohin wird er ...« Er brach ab, als seine Sekretärin auf ihn zukam und mit leicht erhobener Stimme sagte: »Mr. Mitchell, Sie haben einen Anruf von Mr. Bender auf Ihrer Privatleitung. Seine Sekretärin sagt, es sei dringend.«
»Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß Sie Anrufe auf meiner Privatleitung nicht entgegennehmen sollen, Debbie.« Mitchell entschuldigte sich bei Meredith und stolzierte in sein Büro. Vor seiner Tür biß Debbie Novotny sich auf die Lippen und schaute Meredith nach, die zu ihrem eigenen Büro ging.
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