Schatten der Lust
Blick zu.
»Mukasa geht’s gut«, erwiderte Hunter ohne den Anflug eines Lächelns. »Von uns allen ist er am sichersten.«
»Ach, und woher weißt du das?«
»Ich weiß es eben.«
»Wie dem auch sei, ich muss ihn wieder zurückholen, bevor er sich noch verletzt.«
Leda marschierte zu dem Klippenpfad, als zweifelte sie keine Sekunde daran, dass die beiden anderen auch ohne sie zurechtkamen.
Sogleich schulterte Hunter sein Schwert und ging ihr nach.
Sie drehte sich zu ihm um. »Was denn, willst du etwa mit?«
»Dir ist es wichtig«, antwortete er ernst.
Allerdings wartete er, bis Samantha sie eingeholt hatte, und ließ sie mit Leda zusammen vorgehen. Taro kam aus seinem Gehege und folgte ihnen bis zum Weg. Der Bär blieb jedoch auf den unteren Felsen zurück, während sie weiter aufstiegen. Er sah ihnen mit seinem maskenhaften Gesicht nach.
»Wie viele Wildtiere hast du hier?«, fragte Samantha, die sich nach dem Bären umschaute.
»Nur diese zwei«, antwortete Leda, »Taro und Mukasa. Besser gesagt, diese beiden pflege ich. Natürlich gibt es hier noch reichlich tropische Vögel, Schlangen und Insekten.«
Samantha wurde blass. Städterin eben, dachte Leda.
Hunter schwieg. Er hatte sein Schwert in die Scheide geschoben und über die Schulter gehängt. Stumm und mit verschlossener Miene kletterte er ihnen über die Felsen nach.
In etwas über dreißig Metern Höhe wurde der Pfad eben und führte in ein schmales Tal mit tropischen Pflanzen, deren üppiges Grün und schillernde Blüten in der Maisonne leuchteten. Bäume säumten das Tal zu beiden Seiten, und aus den Klippen darüber floss gurgelnd Wasser durch einen Felsspalt, das sich entlang des Pfads zu einem reißenden Bach sammelte.
Geduckt gingen sie unter den Bäumen durch am Wasser entlang. Die Insel bot gleich zwei Klimazonen auf kleinstem Raum: heißen, stickigen Tropenwald und trockenen Strand mit kühlen Winden. Leda zog den Strand vor, weil ihre Magie dort gestärkt wurde. Im Regenwald hingegen war sie binnen kurzer Zeit verschwitzt, so dass ihr das T-Shirt unangenehm am Leib klebte.
Hunter, der die Hitze gar nicht zu spüren schien, holte sie ein. Bis auf wenige Schweißperlen oberhalb seiner Lippen sah er aus, als würde ihm die feuchtschwüle Luft nicht das Geringste ausmachen.
»Er ist ganz in der Nähe«, murmelte er. Von dem Schwert, das er sich über den Rücken geschlungen hatte, ragte nur der wuchtige Griff über seiner Schulter auf. »Keine Angst!«
Nun ging er ein Stück voraus, blieb wenige Meter weiter stehen und zeigte ins Unterholz. Leda eilte lautlos zu ihm und blickte zu der Stelle. Hinter ihr befand sich Samantha, die zu viel Lärm machte, aber der Löwe auf der kleinen Lichtung vor ihnen bemerkte sie nicht.
Mukasa wartete neben dem Bach, der hier breiter wurde und einen tiefen See bildete, bevor er auf der anderen Seite wieder als reißender Bach zwischen den Bäumen verschwand. Das Sprühwasser eines Wasserfalls weiter vorn bei den Felsen kühlte Ledas Haut angenehm, und die Lichtung duftete nach Wasser und grünen Pflanzen.
Regungslos stand der Löwe da und sah zu einer sehr großen Frau auf, die auf ihn herabblickte. Sie war wunderschön. Ihr silbernes Haar floss ihr von der hohen Stirn bis hinunter zu den Füßen. Auch ihre Haut war silbern und schimmerte grün und golden in dem Sonnenlicht, das durch die Bäume schien. Die Hand, die sie Mukasa hinhielt, sah aus, als wäre sie von einem dünnen Netz umfangen, wie auch ihr Gesicht einen netzartigen Rahmen hatte, der nahtlos in ihr Haar überging.
»Was ist sie?«, flüsterte Leda.
Samantha antwortete schwer atmend: »Etwas mit einer starken Lebensmagie.«
Hunter hob einen Zweig. »Eine Undine, ein Wassergeist. Wahrscheinlich ist das hier ihr Gebiet.«
»Aber ich bin seit zwei Jahren hier, bis auf wenige Unterbrechungen«, erklärte Leda verwundert. »Und ich habe sie bis jetzt weder gesehen noch gehört.«
Hunter zuckte bloß mit den Schultern. »Vielleicht hatte sie bisher keinen Grund, sich zu zeigen.«
Dann trat er auf die Lichtung hinaus. Leda erwartete, dass die Frau sich in die Bäume zurückzog oder auflöste, doch sie blieb stehen und wartete, bis Hunter bei ihr war. Schatten huschten über sie hinweg wie zarte Nebelschwaden.
Sie muss nicht weglaufen
, dachte Leda.
Sie kann jederzeit in die Schatten einfließen und wäre fort. Gut möglich, dass sie jedes Mal da war, wenn ich herkam, und ich hatte keine Ahnung.
»Unsterblicher.« Undines Stimme
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