Schatten Des Dschungels
unsympathisch, als sie eingestiegen sind. Beide sind etwa Mitte fünfzig. Sie trägt ein Kleid, aus dem sie beinahe rausquillt, und eine teure Handtasche; ihr sorgfältig geschminkter Mund wirkt verkniffen. So wie ihr Trachtenjacken-Mann blickt sie gerade ungnädig zu einer dunkelhaarigen Frau mit drei quirligen Kindern hin, die schräg gegenübersitzt. »Diese Ausländer können ihre Gören wirklich gar nicht unter Kontrolle halten«, sagt die Frau jetzt zu ihrem Mann. Natürlich so laut, dass die dunkelhaarige Frau es sicher gehört hat. Peinlich berührt schaue ich aus dem Fenster, obwohl es dort nur die Tunnelwand zu sehen gibt. Was für eklige Leute!
Dann höre ich Falks Stimme. »Diese Bemerkung war dumm und rassistisch«, sagt er zu der Frau, so laut und deutlich, dass jeder in diesem Bereich der S-Bahn es mitbekommen hat. Köpfe wenden sich ihm zu, erstaunte Blicke treffen ihn, und die dunkelhaarige Frau mit den Kindern lächelt Falk dankbar zu. Die älteren Herrschaften sagen nichts mehr und starren Falk giftig an. Falk schaut ihnen einfach weiter in die Augen, ganz ruhig, und an der nächsten Station verlassen die beiden die S-Bahn, auf einmal haben sie es eilig.
Ich bin unglaublich stolz auf Falk. Aber ein schlechtes Gefühl bleibt. Er hätte nicht der Einzige sein dürfen, der etwas sagt – warum habe ich eigentlich nichts gesagt, obwohl ich die Bemerkung doch auch völlig daneben fand?
»Du hast das Richtige getan, fand ich«, sage ich zu Falk, als uns die Rolltreppe schließlich zur Oberfläche trägt. »Ich hätte denen auch die Meinung geigen sollen.«
»Ja«, meint Falk schlicht. Ich werde nicht schlau aus seinem Gesichtsausdruck.
Beim Verteilen der Anti-Tropenholz-Flyer klebt ein freundliches Lächeln auf meinem Gesicht, doch eigentlich fühle ich mich elend. Erst als die Mitglieder einer anderen Umweltschutzorganisation eintreffen, werde ich ein bisschen lockerer. »Na, wenn das nicht die Katharina ist!«, ruft mir einer der Jungs schon von Weitem entgegen und grinst mich an. »Übrigens, du hast vergessen, das Graffito anzuschalten.«
»Mist, hoffentlich zieht mir die Chefin nichts vom Gehalt ab«, stöhne ich theatralisch und aktiviere rasch die Graffiti-Funktion an meinem Pad. Jetzt wird Vorbeigehenden die Information, wer wir sind und warum wir hier herumstehen, automatisch auf ihr Handy geschickt und eine Minute lang angezeigt. Wer sich dafür interessiert, kann das Graffito speichern, alle anderen brauchen nur abzuwarten, bis es sich von selbst wieder löscht.
»Wär schon praktisch, wenn wir überhaupt ein Gehalt kriegen würden, von dem jemand was abziehen könnte«, seufzt eins der Mädchen und wirft Falk neugierige Blicke zu. Er hat sich den anderen bisher nicht vorgestellt und beobachtet gerade den Möbelladen und die hineingehenden Leute.
»Wir bekommen bei Living Earth eine Stundenpauschale – allerdings nur sechs Euro«, erkläre ich und den anderen bleibt der Mund offen stehen. »Kein Witz? Unglaublich! Keine Selbstausbeutung!«
Ich kenne das nicht anders, weil ich es bei Living Earth von Anfang an so erlebt habe. Aber es dauert eine Weile, bis die anderen sich damit abgefunden haben.
Weil Falk außer »Hi« immer noch kein Wort gesagt hat, übernehme ich es, ihn den anderen vorzustellen, dann legen wir mit unserer Aktion los. Eigentlich ist es nicht erlaubt, Kunden direkt anzuquatschen, aber weder Falk noch die anderen kennen Hemmungen. »Wussten Sie schon, dass uralte Bäume im Dschungel gefällt worden sind, um die Möbel in diesem Laden herzustellen?« Auch ich bringe den Spruch und freue mich darüber, dass manche Leute wirklich zuhören und den Shop gar nicht erst betreten. Es dauert nicht lange, bis der Ladenbesitzer wutentbrannt herauskommt und uns zur Rede stellt. »Was fällt Ihnen ein, meine Kunden zu belästigen?«
Falk lächelt ihn freundlich an. »Wussten Sie schon, dass uralte Dschungelbäume gefällt worden sind, um die Möbel in Ihrem Laden …?«
»Ich rufe die Polizei!«, brüllt der Typ uns an und verschwindet wieder hinter den Glastüren.
Mein Herz beginnt zu hämmern, und am liebsten wäre ich jetzt ganz woanders, aber die anderen bleiben cool und machen einfach weiter. Also zwinge auch ich mich, weiter mit freundlicher Miene Infos auszuteilen. Schon ein paar Minuten später hält ein Streifenwagen neben uns und zwei Beamte steigen aus.
»Ihre Personalien bitte«, sagt der eine zu mir, und ich spüre, wie meine Wangen heiß werden, wahrscheinlich
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