Schatten Des Dschungels
gesellt sich dazu, aber ich habe keine Lust zuzuhören. Stattdessen schaue ich ungeduldig auf die Uhr und streiche meinen weißen Kittel glatt, ich hab mir extra einen frischen besorgt, der andere hat irgendwelche Chemikalienspritzer abbekommen.
Schließlich klingelt es wieder, und mein Herz macht einen Sprung, als ich sehe, wie Falk die Treppe hochkommt. Er überragt alle im Labor – außer Andy – um einen halben Kopf. Er ist da, Falk ist da! Aus irgendeinem Grund habe ich auf einmal feuchte Augen, verdammt, das ist ja peinlich, das darf er nicht merken.
Falks Gesicht hellt sich auf, als er mich sieht, doch dann werden seine Schritte immer langsamer, und noch vor der Tür des Labors bleibt er stehen.
»Komm doch rein«, sage ich und halte ihm die Tür auf. Es fühlt sich ein bisschen komisch an, Falk vor allen Leuten zu umarmen und zu küssen, aber es achtet sowieso niemand auf uns.
Stolz führe ich Falk herum, zeige ihm, was ich in den letzten Tagen gemacht habe, und lasse ein paar meiner tollen neuen Wörter wie »Polymerase-Kettenreaktion« ins Gespräch einfließen. Wir reden ein wenig über die Frösche in ihren Terrarien jenseits des Biohazard-Schildes und die Gefahr durch den Amphibien-Hautpilz. Doch irgendetwas stimmt nicht. Falk ist einsilbig und abwesend, er behält die Hände in den Taschen seiner Jacke und schon nach einer halben Stunde sagt er: »Ich muss wieder los. Sorry. Gibt noch ziemlich viel zu erledigen.«
In mir brüllt eine Stimme: Aber wir haben uns seit zehn Tagen nicht gesehen, was ist passiert, habe ich irgendetwas falsch gemacht? Doch ich habe gemerkt, dass uns Andy aus den Augenwinkeln beobachtet, und so ist das, was herauskommt, nur: »Schade. Wir telefonieren, okay?«
Schon ist Falk wieder weg.
Ich gehe zu meiner Laborbank und starre auf meinen Versuchsaufbau, aber er ist auf einmal nur noch ein Gewirr von Glas und Metall, das nichts bedeutet, das ich nicht mehr entschlüsseln kann. Die Zeit verschwimmt, bis zu dem Moment, als ich jemanden neben mir spüre. Andy. Er macht nicht den Fehler, mir die Hand auf den Arm zu legen, er lehnt einfach schweigend neben mir und irgendwie hilft mir das.
Als die Besuchergruppe einen Raum weitergezogen ist, sagt er plötzlich doch noch etwas. »Ich glaube nicht, dass das etwas mit dir zu tun hatte. Meinem Eindruck nach hat er ein Problem damit, mit vielen Menschen in einem Raum zu sein. Ein Bekannter von mir hat das auch.«
»Meinst du?«, krächze ich und erinnere mich daran, wie angespannt Falk in der vollgestopften U-Bahn gewirkt hat.
»Ja«, sagt er und wir schweigen wieder eine Weile. Wortlos übernimmt Andy es, den Versuch weiterzuführen, und tropft eine Substanz auf den Analyse-Chip. Ohne hochzuschauen, meint er: »Übrigens, inzwischen habe ich über ein paar Leute, die ich in Berlin kenne, herausgefunden, was Falk dort studiert hat. Psychologie.«
»Psychologie?!« Ich bin verblüfft. »Hier in München ist er für Biologie eingeschrieben.«
»Manche Leute interessieren sich für Psychologie, weil sie selbst irgendein psychisches Problem haben und lernen wollen, sich selbst zu verstehen«, sagt Andy und schaut mich nicht an dabei.
Pure, heiße Wut steigt in mir hoch, überschwemmt mich. »Was willst du denn damit sagen? Was für ein Scheiß ist das denn! Meinst du, alle Psychologen haben einen an der Klatsche? Und überhaupt, du kennst Falk ja nicht mal richtig! Wie oft hast du ihn denn schon getroffen?«
»Ich will nur nicht, dass du … äh …«
Aber in mir brodelt es so heftig, dass ich ihn gar nicht zu Wort kommen lasse. »Dass ich was? Und überhaupt, was geht dich das eigentlich alles an? Wieso hast du Falk hinterhergeschnüffelt?«
Sein Gesicht ist rot geworden. »Es tut mir leid. Manchmal habe ich einfach eine große Klappe. Ich wusste nicht, dass er dir so viel bedeutet.«
Aber ich bin jetzt nicht mehr in der Stimmung, ihm zu verzeihen. Die Wahrheit ist doch, dass er sich selbst für mich interessiert. Aber deswegen jemanden anzuschwärzen finde ich so was von daneben, so etwas hätte Falk zum Beispiel nie getan, in tausend Jahren nicht! Ja, Falk ist anders als andere, aber vielleicht gerade dadurch ist er auch der interessanteste Typ, den ich bisher getroffen habe, und ich werde mir kein einziges Wort dieses Molekulardeppen mehr anhören!
Ich schmeiße den Kittel an irgendeinen Haken, stürme raus und weiß nicht, ob ich jemals wiederkommen will.
Ich muss jetzt einfach mit Falk reden – die Worte ballen sich
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