Schatten Des Dschungels
isst, nimmst du jeden Tag ungefähr ein bis zwei Gramm DNA zu dir. Du isst sozusagen den Bauplan der Pflanze mit.«
Anscheinend verrät mein Gesichtsausdruck, dass ich mir das nicht so richtig vorstellen kann. Andy verschwindet kurz und kommt mit einer Handvoll Tomaten zurück. »Hab ich aus der Küche des Instituts geklaut. Verpetz mich nicht, okay?«
Ich muss lächeln. Allmählich finde ich diesen Kerl doch ganz nett. »Und was jetzt?«
»Wir zermatschen die Tomaten und schauen uns an, wie ihre DNA aussieht.«
»Unter dem Mikroskop?«
»In diesem Fall nicht«, sagt er. Er holt ein paar Glasgefäße, Zubehör und mehrere Fläschchen, darunter eine mit der Aufschrift Alkohol – und eine Flasche Spüli. Ich beschließe, mich über nichts mehr zu wundern, und wir gehen ans Werk. Nach einer Stunde ist es so weit, ich darf einen hauchdünnen weißlichen Faden auf einen Glasstab aufwickeln. Die DNA der Tomate!
»Na, war das cool?«, fragt Andy und lächelt mich an. »Willst du noch mehr machen?«
»Ja und ja«, sage ich, bekomme aber erst mal gezeigt, wie man ein Labor nach der Arbeit richtig putzt und aufräumt. Das Desinfektionsmittel wird nicht direkt auf den Tisch gesprüht, sonst bildet sich ein leicht entzündlicher Tröpfchennebel. Stattdessen sprüht man das Zeug auf ein Tuch und damit wischt man dann den Tisch. Aha.
Beim zweiten Versuch übertragen wir einen Teil der Erbinformation einer Leuchtqualle auf ein Bakterium, sodass die Bakterie anschließend ebenfalls leuchten kann. Das ist schon komplizierter, und als unsere Bakterie tatsächlich leuchtet, ist es Abend geworden. Mein Jubel fällt ein bisschen schwächlich aus, denn mein Schädel fühlt sich an, als würde er gleich platzen, so viel hat Andy mir erklärt und gezeigt.
»Hast du alles prima gemacht«, lobt mich Andy. »Wie wäre es, wenn wir als Belohnung jetzt noch kurz in die Cafeteria gehen und zusammen was trinken würden?«
Belohnung für wen, für mich oder für ihn? Egal. »Gerne«, sage ich, denn es war wirklich sehr nett, wie viel Zeit Andy mir und meinen bestimmt oft dämlichen Fragen gewidmet hat.
Als ich höre, dass eine Tür aufgeht, wende ich mich um und sehe, wie ein junger Laborassistent aus dem Raum mit dem Biohazard-Schild herauskommt. Sicher eine der Gestalten, die ich vorhin im Schutzanzug dort drin gesehen habe. Wieder läuft mir ein Schauder über den Rücken, und ich wende mich schnell um, um Andy in die Cafeteria zu folgen.
Die Arbeit im Labor ist spannend, nach der Einarbeitung darf ich helfen, das Erbgut von Tropenpflanzen zu analysieren, die Hautzellen von Regenwaldfröschen zu untersuchen und sie auf Pilzerkrankungen zu testen. Doch ich ertappe mich immer öfter dabei, dass ich aus dem Fenster starre. Dass meine Augen nach etwas suchen, dass es hier nicht gibt. Dass ich an dieser nach Chemikalien riechenden Luft ersticke. Ich tue etwas für den Naturschutz, ganz konkret, so wie ich es vorhatte, aber es fühlt sich so falsch an. Viel lieber wäre ich jetzt draußen und würde mit Falk irgendein seltsames Kunstwerk zusammenbasteln. Andy gegenüber erwähne ich all das nicht. Es würde alles bestätigen, was er sowieso schon über mich denkt.
Die Sehnsucht nach Falk nagt und zerrt an mir. Was ich auch tue, die Gedanken an ihn verlassen mich keine Minute lang, begleiten mich, wohin ich auch gehe, sind ein Teil von mir geworden. Ist er schon zurück von der Konferenz? Wird er mich anrufen? Hat er an mich gedacht in den letzten Tagen?
Und dann klingelt mein Handy in diesem ganz speziellen Ton, den ich für Falk eingestellt habe. Endlich. Endlich! »Ich bin wieder da, wollen wir uns sehen?«
Was für eine Frage! »Ich bin gerade im Labor des Tropeninstituts. Magst du herkommen und mich besuchen? Danach können wir ja noch irgendwo hingehen, falls du Zeit hast.«
Wir verabreden uns in einer Stunde. Komisch, wie hell mir der regnerische Herbsttag auf einmal vorkommt. Meine Schritte sind wieder federnd, ich wippe auf den Zehen wie ein Sprinter. Die Minuten kriechen vorbei, ich kann mich nicht mehr auf irgendwelche Hautzellen konzentrieren und gehe stattdessen für alle Mitarbeiter eine Runde Kaffee holen. Als ich zurück bin, klingelt es am Eingang des Labors, ich springe hoch und hetze zur Tür, doch leider ist es nicht Falk, sondern eine fünfzehnköpfige Besuchergruppe aus Brasilien. Auf einmal ist es sehr voll und laut im Labor. Gabriele Wehner, die junge Professorin, beginnt, in Englisch etwas zu erklären. Andy
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