Schatten Des Dschungels
Blättern. Um festzustellen, wo diese Blätter eigentlich herkommen, lege ich den Kopf in den Nacken, doch die Äste des Baumes liegen so hoch oben, dass ich sie kaum erkennen kann.
Wir gehen hintereinander auf einem schmalen Trampelpfad, vor mir tanzt Lindys rotes Käppi auf und ab, hinter mir geht Falk, der die Nachhut bildet. Schon nach ein paar Minuten kommt es mir vor, als sehe der Wald überall gleich aus. Ich versuche mich zu orientieren und schaffe es nicht, meine Augen finden keinen Halt in diesem unglaublichen Grün. Erst bin ich enttäuscht von mir selbst, doch dann begreife ich: Ich brauche mehr Zeit, diesen Wald kennenzulernen, ihn in mich aufzunehmen mit allen Sinnen. Im Moment überwältigt er mich einfach nur. Noch kann ich seine Geschichten nicht lesen, er ist ein Buch in einer fremden Sprache. Aber es ist eine Sprache, die ich lernen werde.
Und bis dahin darf ich einfach nur staunen: über die gewaltigen Wurzeln, die sich nicht in den Boden bohren wie bei unseren Bäumen, sondern sich breit und flach wie Bretter nach den Seiten abstützen. Über die Lianen, die überall herunterhängen wie Kletterseile. Über den handgroßen, blau schimmernden Falter, der vorbeiflattert und schon nach Sekunden wieder im Geflimmer aus Licht und Schatten verschwunden ist.
Es beeindruckt mich, wie selbstverständlich Lindy sich hier bewegt, keine Frage, es ist ihr Wald, sie kennt sich hier aus. Sie zeigt mir beim Vorbeigehen ein getarntes Insekt auf einem Zweig, eine besondere Lianenart mit Heilkräften, einen im Gebüsch versteckten Vogel. Hin und wieder ruft unser Guide »Ants!«, und wir steigen alle nacheinander über eine Ameisenstraße. Einmal müssen wir einen kleinen Flusslauf überqueren, ein grünmoosiger Baumstamm soll als Brücke dienen. Unsere Guides balancieren flink darüber, obwohl sie schwer beladen sind. Auch Jonas Kübler gelangt irgendwie rüber. Aber Pancake beklagt sich: »Jeeesus, ist das Ding glitschig«, er schafft keine drei Schritte ohne Verrenkungen, es kann nicht mehr lange dauern, bis er abstürzt, und bis unten sind es mindestens vier oder fünf Meter.
»Gib doch deinen Rucksack ab«, ruft Falk ihm zu. Aber Pancake behält das Ding auf, das ihn immer wieder aus der Balance bringt, und rutscht schließlich würdelos, aber sicher auf dem Hintern über die Baumbrücke.
Weil ich zögere, geht Falk vor. Er schafft es ohne Probleme auf die andere Seite. »Kommst du, Cat?«, ruft er mir zu. »Setz dich lieber auf den Stamm, wenn du unsicher bist.«
Doch mich packt der Ehrgeiz. Hey, ich war in der Waldschule, ich bin schon zahllose Male über Baumstämme balanciert! Ich gebe dem zweiten Guide meinen Rucksack und will versuchen, aufrecht über den Stamm zu kommen. Bereits nach wenigen Schritten merke ich, wie glitschig das Ding ist, aber meine Schuhe haben ein gutes Profil, sie finden Halt. Alle, die schon drüben stehen, beobachten mich; ich versuche, nicht daran zu denken, das würde mich nur ablenken. Ich setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Eine unglaublich große Ameise beginnt an mir hochzukrabbeln, was ist, wenn die bissig ist? Einen Moment lang schaue ich nicht nach vorne, sondern nach unten – und rutsche prompt aus.
Lindy schreit auf. Schon hat einer der Guides sein Gepäck abgesetzt, jetzt eilt er über die Brücke, um mir zu helfen, Falk dicht hinter ihm. Noch bin ich nicht unten, hartnäckig klammere ich mich fest. Aber der Stamm ist so moosig, dass meine Hände davon abgleiten, ich rutsche weg. Verdammt, gleich falle ich … geschieht mir recht, dass ich in ein paar Sekunden mit dem Gesicht im Matsch liege … aber was ist, wenn ich mir hier ein Bein breche?
Doch da sind die beiden Männer schon herangekommen, packen meine Handgelenke, ziehen mich hoch. Schwankend stehen Falk und ich auf dem Baumstamm. »Und, jetzt doch lieber sitzend?«, fragt er mich, doch manchmal bin ich genauso stur und stolz wie er, ich schüttele den Kopf. Er lächelt, und weil hier am Bach etwas mehr Licht durch die Kronen fällt, tanzen in seinen Augen kleine Sonnenfunken. Dann dreht er sich um und geht über den Stamm voran, ich balanciere hinter ihm her. Ohne weiteren Unfall komme ich zur anderen Seite. »Alles gut?«, fragt Lindy lächelnd und tätschelt meinen Arm.
»Alles gut«, sage ich und es geht einfach weiter, niemand macht eine blöde Bemerkung.
Und dann sind wir angekommen in unserem Camp, es ist auf den ersten Blick zu erkennen an dem grauen Container mit Living-Earth-Logo,
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