Schatten Des Dschungels
der mitten im Wald steht. Kaum zwanzig Meter weiter liegt ein umgestürzter Baum, gewaltig wie ein toter Riese, einige der Äste reichen bis zum Container.
» Christ , was ist denn hier passiert?«, ruft Michelle erschrocken. »Der muss in der Zwischenzeit umgefallen sein, das kann noch nicht so lange her sein!«
Mit schnellen Schritten gehen sie, Falk und Pancake auf den Container zu, überprüfen ihn von allen Seiten. »It’s alright!«, ruft Pancake jetzt erleichtert. »Die Äste haben nichts beschädigt.«
»Glück gehabt.« Falk atmet tief durch. »Sie hätten es uns wohl kaum bezahlt, noch eins von den Dingern mit dem Hubschrauber einfliegen zu lassen.«
Wen meint er denn mit ›sie‹? Die Leute von Living Earth? Doch bevor ich Falk fragen kann, ist er schon weitergegangen. Pancake zückt einen Schlüssel und sperrt den Container auf. Wie seltsam, hier in der Wildnis, wo bestimmt nur alle paar Jahre jemand vorbeikommt, überhaupt abzuschließen! Aber vielleicht hatte er Angst, dass Tiere die Tür aufdrücken. Drinnen scheint eine Art Labor zu sein. Pancake verschwindet eilig mit seinen Rucksäcken darin.
Doch ich schaue mir lieber erst mal den umgestürzten Baum an, der wirklich gigantisch ist. »Wow. Muss ganz schön gekracht haben, als der runtergekommen ist. Meinst du, den hat ein Sturm umgeworfen, Lindy?«
»Ich glaube eher nicht.« Lindy lässt die Finger über die glatte, helle Rinde gleiten. »Manchmal brechen Bäume einfach unter dem Gewicht der Pflanzen zusammen, die auf ihnen wachsen – Knäuel von Lianen, Bromelien, Büschel von Orchideen und so weiter, nach einer Weile ist dieses ganze Zeug tonnenschwer.«
In der Zwischenzeit haben unsere Guides das restliche Gepäck abgeladen, sie verabschieden sich und Michelle drückt ihnen ihren Lohn in die Hand. Wir machen uns an die Arbeit, bauen ein Zelt für das Küchenzeug auf und eins für die Ausrüstung. Wir selbst werden nicht in Zelten schlafen, stattdessen zeigt mir Lindy, wie man seine Hängematte mit dem integrierten Moskitonetz zwischen zwei Stämmen anbringt. »Über das Ganze kommt dann noch eine Plane, für den Fall, dass es regnet«, erklärt sie mir. Ich muss nicht weiter fragen, warum man hier besser nicht auf dem Boden schläft, ein Blick auf meine Füße, die gerade von diversen Insektenarten genauer untersucht werden, genügt.
»Cat, wir brauchen ein Lagerfeuer, machst du das bitte?«, kommandiert Michelle.
»Aye, aye, Sir«, sage ich, was mir ein wohlwollendes Nicken einbringt. Es ist gar nicht so einfach, trockenes Holz zu sammeln – alles, was auf dem Boden liegt, ist feucht und schon dabei, vom Wald verdaut zu werden. Ganz konzentrieren kann ich mich beim Sammeln nicht, meine Augen suchen nach Falk, finden ihn nicht, vielleicht ist er im Laborcontainer? Unglaublich, aber ich sehne mich schon wieder nach ihm, nach seiner Berührung, seiner Art, mich anzusehen. Über den Winter sind wir uns vertrauter geworden. Ich weiß jetzt, dass seine Exfreundin aus Finnland kam, nicht aus Norwegen, dass sein Vater – der bei Falks Geburt schon ziemlich alt war – wirklich bei der Stasi arbeitete, aber kein Offizier war, und dass Falk davon träumt, den Pilotenschein für Hubschrauber zu machen. Ein paar Flugstunden hat er in Berlin schon genommen, bis ihm das Geld ausgegangen ist. Trotzdem gibt es vieles, was mir noch immer ein Rätsel ist: wo er als Nächstes wohnen wird; was ihm durch den Kopf geht, wenn er mich manchmal so nachdenklich anschaut; wie er es eigentlich schafft zu studieren, obwohl er so viel für Living Earth macht …
Eine riesige, haarige Spinne marschiert schräg vor mir über einen Ast und ich weiche reflexartig zurück. Ups! Vielleicht sollte man sich, wenn man im Dschungel Holz sammelt, doch besser auf das konzentrieren, was man tut. Die Schlagzeile Wirrköpfige junge Münchnerin fällt Tropenspinne zum Opfer brauche ich nicht unbedingt.
Bald habe ich ein schönes Feuerchen in Gang. Mit der kleinen Axt, die meine Kollegen schon ausgepackt haben, hacke ich ein paar Äste auf Vorrat ab und stelle verblüfft fest, dass Tropenbäume keine Jahresringe haben. Stimmt, es gibt hier ja auch keine Jahreszeiten und damit keinen Anlass, sich irgendwelche Ringe zuzulegen.
Zufrieden hocke ich mich neben das Feuer, um mir die Hände zu wärmen; anscheinend geht die Sonne gerade unter, es wird immer dämmriger im Wald. Meine erste Nacht im Dschungel steht bevor, ich kann es noch immer kaum glauben. Wo sind eigentlich die
Weitere Kostenlose Bücher