Schatten Des Dschungels
in welche Richtung ich gegangen bin. Schließlich ziehe ich meine Jacke wieder an, die jetzt ein fransiges Loch am Ärmel hat.
Noch etwas fällt mir ein: meine hellblonden Haare, die viel zu auffällig sind hier im Dschungel. Ich grabe eine Handvoll feuchter Erde aus der colpa , nehme kurz das Nachtsichtgerät ab und schmiere mir den Matsch in die Haare. Noch einmal mit den Händen durchs Gesicht reiben und ich habe die richtige Tarnfärbung.
Jetzt ist der richtige Moment gekommen, um vom Pfad abzuweichen. Einzutauchen in den Regenwald. Der SAM weist mir mit einem roten Pfeil die Richtung, obwohl der Troll auf dem Display mich mit hochgezogenen Augenbrauen anglotzt, als frage er sich, was zum Teufel ich hier eigentlich mache.
Im Display des Nachtsichtgeräts sieht der Wald geisterhaft grün aus. Die erste halbe Stunde lang benutze ich die Machete nicht, damit die durchtrennten Zweige und Lianen die anderen nicht auf meine Spur führen. Ich winde mich, so gut es geht, durchs Gebüsch, ducke mich unter Pflanzen mit riesigen Blättern hindurch, Tau tropft mir in den Nacken. Meine Finger zerreißen ein Spinnennetz, meine Schuhe machen kaum einen Laut auf dem feuchten Laub. Ab und zu verhakt sich die Hängematte, die ich trage, an einem Zweig und ich muss mich mühsam befreien. Noch habe ich meinen Rhythmus nicht gefunden, bisher ist es einfach nur mühsam, hier voranzukommen. Außerdem bin ich immer noch völlig durch den Wind, kann kaum fassen, was ich getan habe und tue.
Ich weiche dem Gewirr der Lianen und Kletterpflanzen aus, meine Füße sinken tief an einer feuchten Stelle ein; ich trete versehentlich einen kniehohen jungen Baum um und knicke beim Vorbeigehen Blätter ab. Kurz, ich hinterlasse Hunderte von Spuren. Eins ist klar: Wäre Lindy gesund, hätte ich keine Chance davonzukommen. Was ist mit Falk und Michelle, könnten sie mich finden, wenn sie wollen? Bei den letzten beiden Trips hat mich beeindruckt, wie sicher und gewandt Falk sich im Wald bewegt – nie hätte ich gedacht, dass mir das einmal gefährlich werden könnte, noch immer sträubt sich alles in mir gegen den Gedanken. Michelle einzuschätzen ist schwerer, aber sie wirkt sehr fit und als Biologin war sie garantiert oft draußen unterwegs. Genau wie die anderen war sie schon ein paarmal in Guyana. Im Vergleich zu ihr bin ich ein Neuling, Waldschule hin oder her.
Inzwischen bin ich so nervös, dass ich immer schneller werde, meine Gedanken peitschen mich voran, quälen mich wie rot glühende Nadeln. Aber dann wird mir klar, dass ich es so nie schaffen werde.
Ich bleibe stehen und atme ein paarmal tief durch. Obwohl alles in mir danach schreit, weiterzugehen, zu laufen, zu rennen, die wertvollen Minuten bis zur Dämmerung zu nutzen, setze ich mich hin und lege das Nachtsichtgerät beiseite. Jetzt ist es wieder finster um mich herum, alles ist so, wie es sein muss, wie es hier schon immer gewesen ist. Ich nehme die Dunkelheit in mich auf, lausche auf die Geräusche des Waldes, atme tief seinen Geruch ein … und merke, wie ich zur Ruhe komme. Dann versuche ich alles wegzuschieben – die Trauer, die Angst, die Zweifel.
Als ich aufstehe, fließen meine Gedanken wieder kühl und klar. Und der Wald ist mein Verbündeter geworden, er wird mir helfen zu entkommen.
Ich lausche auf den Klang von Wasser, entdecke einen knöcheltiefen Bach und wate ihn entlang; jetzt schwappt zwar Wasser in meinen Stiefeln, aber Spuren hinterlasse ich keine mehr. Erst als der Boden felsig wird, verlasse ich den Bach wieder, nachdem ich meine Trinkflasche aufgefüllt habe. Den SAM habe ich in meine Jackentasche verbannt, es vibriert ab und zu protestierend, wenn ich vom Kurs abkomme. Einmal nehme ich ihn heraus und schalte die Sprachausgabe ein, nur aus Interesse. Sofort raunzt mich der Troll-Avatar an: »Ganz ehrlich, du gehst, als seist du besoffen!«
»Schnauze«, murmele ich und schalte ihn wieder ab. »Das ist Absicht.« Ich bewege mich ganz bewusst im Zickzack, ändere mindestens alle Viertelstunde die Richtung. Nur hin und wieder vergewissere ich mich auf dem Kompass, dass ich nicht im Kreis laufe. Immer wieder hocke ich mich hin und taste vorsichtig den Boden ab. Matschige Stellen, die meine Spuren sichtbar machen, umgehe ich. Es wird immer schwerer, mir zu folgen – wird Falk es versuchen? Inzwischen ist es fast sechs Uhr morgens. Bestimmt sind er und Michelle schon wach, aber wenn ich Glück habe, entdecken sie jetzt erst, dass ich geflohen bin.
Als ich
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