Schatten Des Dschungels
meiner Meinung nach sollten wir als Erstes den Behörden in Guyana und Venezuela Bescheid geben. Ohne Umweg über Dr. Abraham.«
»Okay«, sage ich, erleichtert darüber, dass ich jetzt mit jemandem über all das sprechen kann. Irgendwie habe ich nur an die Polizei in Deutschland gedacht, vielleicht weil Falk und ich Deutsche sind. Wieso bin ich eigentlich nicht darauf gekommen, dass man natürlich erst mal die Leute vor Ort warnen sollte?
»Was weißt du über diesen Hautpilz?«, fragt Andy, seine Stimme klingt nüchtern. Über den ersten Schock scheint er schon hinweg zu sein.
»Leider nicht viel«, muss ich zugeben. »Er stammt von einer Amphibienkrankheit ab.«
»Aha, wahrscheinlich BD. Batrachochytrium dendrobatidis.«
»Genau! Pancake hat ihn in seinem Labor in Guyana irgendwie verändert, sodass er auch Menschen befallen kann.«
»Das hat er selbst hingekriegt? Im Dschungel? Wow. Na ja, ich könnte so was vermutlich auch, wenn ich ein paar Monate Zeit hätte, aber ich bräuchte ein anständiges Labor dafür.«
Jetzt bin ich doch ein wenig überrascht. Sogar Andy könnte das, obwohl er nur ein paar Jahre älter ist als ich und noch nicht mal mit der Uni fertig? Heißt das, jeder halbwegs begabte Student kann seine eigene Designerkrankheit entwickeln und auf die Welt loslassen? Wahrscheinlich schon, bei den Computerviren ist das ja ähnlich, viele stammen von Scriptkiddies, die gerade mal passabel mit dem Computer umgehen können und nicht zweimal nachdenken, bevor sie irgendeine digitale Plage auf die Welt loslassen. O Mann!
Immerhin, für mich ist es ein Glücksfall, dass Andy sich mit solchen Dingen auskennt. Mein Pad fällt mir wieder ein, aufgeregt beginne ich zwischen meinen Decken zu kramen. »Sag mal, du kannst doch gut mit Computern umgehen, oder? Ich habe heimlich Daten auf mein Pad gezogen, die vielleicht wichtig sind, aber das blöde Ding ist nass geworden, als ich im Dschungel unterwegs war …«
»Vielleicht kriege ich es wieder hin.«
Der arme Sam fällt mir ein. »Ach ja, und vielleicht könntest du dir gleich noch was anschauen – jemand hat meinen SAM gegen einen Baum geworfen.«
Er unterdrückt ein Lachen. »Warst du es selber? Die Dinger können ziemlich frech sein.«
Ich muss grinsen. »In diesem Fall bin ich ausnahmsweise unschuldig. Aber es stimmt, manchmal war ich selbst kurz davor, ihn an irgendeinen Baum zu knallen. Aber ich mag ihn trotzdem.« Behutsam schiebe ich ihm Pad und Sam in die Hand, und Andy macht sich ungeschickt daran, mit dem ganzen Krempel in der Hand rückwärts aus dem Zelt zu kriechen.
Doch dann hält er noch mal inne. »Ach ja …«, sagt er und zögert plötzlich. »Ehrlich gesagt, ich finde es ganz schön mutig, was du getan hast. Keine Ahnung, ob ich das geschafft hätte.«
»Was genau? Durch den Dschungel zu marschieren?«
»Gerade noch rechtzeitig Nein zu sagen.«
Plötzlich sind wir beide verlegen. Andy wünscht mir rasch eine gute Nacht und schleicht sich davon.
Als ich am frühen Morgen aus meinem Zelt spähe, herrscht im Camp schon rege Betriebsamkeit. Ich schaue mich nach Andy um und entdecke ihn an einem Klapptisch, über mein Pad gebeugt. Ist er gestern überhaupt noch in seine Hängematte gekrochen?
Als er mich bemerkt, kommt er zu mir herüber, bleibt in sicherer Quarantäne-Entfernung stehen und meint: »Willst du erst die gute oder die schlechte Nachricht hören?«
»Die schlechte«, sage ich und mein ganzer Körper spannt sich an. Was ist mit dem Pad, hat er nicht geschafft, es zu retten? Sind die Daten weg? Doch Andy wirft mir einen blauen Kristall zu, der nun wieder leuchtet. »Deine Self Assembly Machine – die konnte ich nur zum Teil wieder flicken. Du könntest das Ding noch als Diktiergerät benutzen oder so was, aber die höheren Funktionen sind hinüber, fürchte ich.«
Niedergeschlagen blicke ich auf das Gerät hinab. Im Geiste sehe ich, wie mir mein Troll entgegenstarrt und mit Leidensmiene verkündet, dass er sich total traumatisiert fühlt. Aber dann verschwimmt das Bild in mir. Höhere Funktionen? Das heißt, Sams Persönlichkeit ist verschwunden, und das für immer.
Andy sieht wohl, wie traurig ich bin, denn er schiebt schnell nach: »So, jetzt zur guten Nachricht. Dein Pad habe ich wieder hingekriegt; eigentlich sollte es ja sowieso spritzwasserfest sein, es ist nur wenig Wasser und Dreck reingesickert. Ich habe es innen getrocknet und gesäubert, und als ich es eben getestet habe, hat es sich einwandfrei
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