Schatten Des Dschungels
benommen.«
»Gott sei Dank.« Auf einmal fühle ich mich leicht wie eine Feder. Meine Flucht war nicht umsonst, die Daten sind sicher. Ich habe Beweise für meine unglaubliche Story.
»Herr Waldschmidt!«, ertönt plötzlich Dr. Karen Abrahams Stimme. »Würden Sie bitte mithelfen, die heutige Exkursion vorzubereiten! Und muss ich Sie daran erinnern, dass sich Miss De Vries noch in Quarantäne befindet?«
Verlegen springt Andy auf. »Komme sofort.« Er wirft mir einen kurzen, bedauernden Blick zu. Wie es aussieht, wird er erst am Abend dazu kommen, sich die Daten auf dem Pad anzuschauen. Doch dafür wirft er mir sein Handy zu. »Versuch mal, ob du jemanden erreichst, der zuständig ist für die öffentliche Gesundheit«, flüstert er eindringlich. »Sind deine Living-Earth-Kollegen noch im Land? Notfalls müssen wir die Polizei einschalten, damit sie am Flughafen verhaftet werden.«
Verhaften . Das Wort trifft mich wie ein Vorschlaghammer. Will ich, dass Falk, Lindy und die anderen hier verhaftet werden und in einem üblen südamerikanischen Knast landen, zusammen mit Drogendealern und Mördern? Muss das sein, um Last Hope zu stoppen?
Ich drücke mich vor der Frage und stöbere erst einmal durch Pancakes Daten auf meinem Pad. Das meiste ist biochemischer Fachjargon, ich verstehe kaum ein Wort davon. Und der ganze Ordner »Spiderman« ist passwortgeschützt, selbst nach dem Kopieren. Dafür komme ich an eine Datei mit abgespeicherten Mails heran, und mein Herz beginnt schneller zu schlagen, denn anscheinend sind diese Mails von Falk. Doch vom Inhalt her sind sie eher enttäuschend – die eigentliche Planung des Projekts Last Hope haben die beiden wohl eher persönlich gemacht, unter vier Augen. Und obwohl Falk und Pancake offensichtlich schon lange befreundet sind, schreibt Falk nur selten etwas über seine Gefühle und Gedanken. Trotzdem überfliege ich jede Zeile gierig, weil es mir dadurch so vorkommt, als sei ich ihm nah. Zum Glück geht die Übersetzungsfunktion des SAM noch und ich kann mir die lateinischen Zitate entschlüsseln lassen. Eins davon geht mir unter die Haut.
Wir fürchten nicht den Tod, sondern nur die Vorstellung des Todes .
Ja. Das ist wahr. Meine Gedanken schweifen zurück zu den düsteren Momenten am Ufer des namenlosen Flusses. Wahrscheinlich war ich dort dem Tod sehr nah … aber ich war zu erschöpft und gleichgültig, um ihn zu fürchten.
Doch nicht alles in den Mails stimmt mich nachdenklich, vieles bringt mich auch zum Lächeln. Pancake und Falk haben sich oft derb aufgezogen: Falk nennt Pancake nebulo – was Sam mit »Windbeutel« übersetzt – oder bucco – Maulaffe. Pan kontert mit nequissimus , Versager, verbero , Watschengesicht, und einem Dutzend anderer Ausdrücke. Höhepunkt des Austauschs ist homullus ex argilla et luto fictus , Vorgartenzwerg. Diesen Titel bekam Pancake verliehen, nachdem er bei einer Demo kopfüber über einen Zaun in ein Privatgrundstück gestürzt war.
Doch mein Lächeln schwindet schnell wieder. Ich habe eine Mail gefunden, die heraussticht. Ich überfliege die Nachricht, lese sie dann noch einmal langsamer.
Hi Pan,
hab mich von Iina getrennt. Zum schluss war sie mir so furchtbar fern. Hoffe, ich habe dich nicht zu sehr generft mit meinem Kopf- und Herzchaos in lezter Zeit. Geht jetzt wieder. Heute abend an der Unterhavel, hast du Zeit?
F.
Amare et sapere vix deo conceditur
»Verliebt und gleichzeitig vernünftig sein, das kann nicht einmal ein Gott«, gibt die Übersetzungsfunktion zur Auskunft. Die Mail ist vom Sommer 2023, also schon fast drei Jahre alt; trotzdem spüre ich einen kurzen Anflug von Eifersucht. Aber die Mail berührt mich auch. Ein Kopf- und Herzchaos … ist es das, was er jetzt fühlt, diesmal wegen mir? Auch ich entferne mich gerade von ihm, immer weiter und weiter.
Es ist unglaublich quälend, Falk nicht erklären zu können, warum ich mich für die Flucht entschieden habe. Vielleicht hilft es, das alles aufzuschreiben. Ich öffne den Text- und Mail-Editor, und meine Finger haben es so eilig, dass sie fast übereinander stolpern.
Wahrscheinlich bist du gerade furchtbar enttäuscht von mir. Ich wünschte, wir könnten nur noch einmal miteinander sprechen, damit ich dir alles erklären kann. Manchmal wusste ich in den letzten Wochen nicht, wer du bist und an was du glaubst. Es kam mir so vor, als gebe es keinen festen Boden unter meinen Füßen …
Es wird eine lange Mail, und ich weiß, dass ich sie nie abschicken
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