Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Gehen, auch das Atmen fiel ihm schwer. Er verabschiedete sich von der Stationsschwester, fuhr im Aufzug ins Erdgeschoss und bat den Pförtner, ein Taxi zu bestellen.
»Nicht nötig, da vorn stehen immer welche.« Er zeigte mit dem Finger zur Straße.
Stachelmann nahm den ersten Wagen in der kurzen Schlange und ließ sich ins Hotel fahren. Die Frau an der Rezeption schaute ihn mit hochgezogenen Brauen unter einer Hochfrisur an, sagte aber nichts. Wahrscheinlich glaubt sie, ich hätte gezecht und mich geprügelt. Ganz Unrecht hat sie nicht, wenn es auch ein bisschen einseitig war. Nachdem er geduscht und die Kleidung gewechselt hatte, legte er sich aufs Bett. Im Flur hörte er Frauenstimmen und einen Staubsauger. Der Kalender zeigte Montag, den 18. Juli.
Die Angst meldete sich und wuchs. Er überlegte, ob er sich bewaffnen sollte, aber er verwarf den Gedanken gleich. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit, wie er diesen Männern ausgeliefert gewesen war. Die Demütigung war größer als der Schmerz. Er stellte sich vor, wieder durch die Gassen zu laufen, er würde überall Finsterlinge wittern, die ihn überfallen wollten. War es wirklich Absicht gewesen, hatten sie es auf ihn abgesehen gehabt? Dann mussten sie ihm gefolgt sein. Er versuchte sich an Stationen seines Wegs zu erinnern. Er war sich sicher, er hatte die beiden Männer zuvor nicht gesehen. Es war doch ein Zufall gewesen. Woher sollten sie wissen, dass und wann er nach Heidelberg reisen würde? Du weißt doch selbst nicht so genau, was du in Heidelberg willst. In welchem Hotel er übernachten würde? Es waren viel zu viele Unwägbarkeiten. Kathrin und Regine wussten, er würde kommen. Aber mehr wussten sie nicht. Und warum sollte er verprügelt werden? Wer könnte sich bedroht fühlen? Wegen der Thingstättengeschichte? In jeder Hinsicht absurd. Da hatten zwei Männer eine Wut, und die haben sie an dir ausgelassen. Welchen Grund sollten sie sonst gehabt haben, dich zu schlagen? Die Wahrscheinlichkeit war gering, diese Typen wieder zu treffen. Und wenn, sie würden ihn wahrscheinlich gar nicht erkennen, und warum sollten sie wieder eine Wut haben, die sie ausgerechnet an ihm auslassen müssten?
Stachelmann überlegte, ob jemand in der Gasse gewesen war, der die Szene beobachtet hatte. Aber er hatte niemanden gesehen. Er versuchte sich einzureden, es sei eigentlich nicht viel geschehen, und das Schlimmste, was passieren könne, sei, noch einmal verprügelt zu werden. Das schmerzt, aber Schmerzen war er gewöhnt, die Arthritis plagte ihn manchmal stärker als die Prellungen und Blutergüsse, welche die Schläge hinterlassen hatten. Aber seine Mühe, die Angst zu verdrängen, fruchtete nicht. Stachelmann ahnte, er würde lange mit ihr kämpfen müssen, es würde vielleicht Jahre dauern, bis er wieder angstfrei nachts durch Gassen gehen konnte. Du musst dich zwingen, es zu tun. Gleich heute Abend wieder. Aber erst Regine anrufen, damit du das erledigt hast.
»Du schon wieder«, sagte sie. Sie klang freundlicher als beim ersten Telefonat. Sie war einverstanden mit einem Treffen. »Ja, heute Abend passt es mir.« Sie verabredeten sich bei einem Italiener in Neuenheim, nicht weit von Stachelmanns Hotel. Die Zeit bis dahin versuchte Stachelmann zu schlafen. Doch immer wieder drang ihm der Überfall ins Bewusstsein und mit ihm die Angst. Schloss er die Augen, erinnerten ihn Schmerzen an die vergangene Nacht, nicht weil sie besonders wehtaten, sondern weil sich mit ihnen Bilder in seinem Hirn festfraßen von dem Mann, der ihn hielt, und dem anderen, der ihn schlug. Vielleicht sollte ich mich doch bewaffnen. Aber kann ich umgehen mit einer Waffe? Und wenn es dann darauf ankommt, benutze ich sie auch, oder provoziere ich die anderen nur noch mehr?
Er döste dem Abend entgegen, stand auf, betrachtete sich im Spiegel und überlegte, ob er das Treffen nicht verschieben sollte. Sein linkes Auge schwoll rot an und würde sich bald blau färben. Vielleicht würde er schon nachher links nichts mehr sehen. Die eine Backe schillerte grün und rot, auf der anderen zog sich ein verschorfter Haut riss vom Ohr fast bis zum Mundwinkel. Du kannst so nicht aus dem Haus. Sag ab, setz dich an deine Arbeit. Aber morgen würde es eher schlimmer aussehen. Wenn er heute nicht aus dem Haus konnte, dann morgen schon gar nicht. Da sollte er besser zurückfahren nach Hamburg. Nein, es bleibt dabei, du triffst dich mit Regine.
Er erschrak fast, als ihm seine Mutter einfiel. Er setzte sich aufs
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