Schatten eines Gottes (German Edition)
Mittelpunkt der Welt. Jedenfalls hält es sich dafür. Die Stadt hat eine ehrwürdige Vergangenheit und vielleicht auch eine glänzende Zukunft.«
»Ja natürlich«, murmelte sie. »Glaubt Ihr, ich könnte auch dort mit – äh – mit nützlichen Dingen Handel treiben?«
»Zweifellos, aber Ihr seid der Sprache nicht mächtig, oder doch? Ich rate Euch, bleibt lieber im Lande. Die Welschen würden Euch nur übers Ohr hauen.«
»Mich bestimmt nicht«, zischte sie.
»Wer mit einem Dareikos bezahlen will …«
»Reitet doch nicht darauf herum. Ich lerne schnell. Würdet Ihr mich mitnehmen?«
»Euch?« Es klang, als habe sie ihm angeboten, mit einem toten Vogel zu reisen.
»Warum nicht? Ich bezahle Euch auch. Dann müsste ich nicht allein reisen.«
Stefano hob anzüglich die Brauen. »Es tut mir leid, ich reise niemals mit einer Frau. Aber wenn Ihr eine Begleitung sucht, vor Mainz lagert eine große Schar Kinder. Sie befinden sich auf einem Kreuzzug nach Jerusalem. Dabei müssen sie durch Italien, vielleicht kommen sie auch nach Rom.«
»Ihr seid ein unhöflicher Flegel!«, schrie sie und schüttete ihm den Rest ihrer Eimahlzeit auf den Rock. Beinahe hätte Stefano sie geschlagen, doch er besann sich und winkte mit der erhobenen Hand einem Burschen. »Der Dame ist ein Versehen passiert. Säubere das!«
Agnes verschränkte die Arme und sah zu. »Wenn Ihr jetzt glaubt, dass es mir leidtut, dann irrt Ihr Euch«, zischte sie.
»Und Ihr solltet Gott danken, dass Ihr eine Frau seid«, gab er eisig zurück. Agnes sah etwas in seinen Augen, das sie frösteln ließ. Doch kaum war der Bursche fertig, hatte Stefano schon wieder eine liebenswürdige Miene aufgesetzt. »Ihr müsst Euer Temperament zügeln, Jungfer Agnes, es steht einer wie Euch nicht an, beleidigt oder gekränkt zu sein.«
»Was wollt Ihr damit sagen: ›einer wie mir‹?«
Stefano lächelte. »Vor den Spielleuten und den Spatzen auf den Dächern ist kein Geheimnis sicher. Es hat einen Vorfall in St. Stephan gegeben.«
»Eure Bemerkung trifft mich nicht. Sicher nehmt auch Ihr von Zeit zu Zeit die Dienste einer Dirne in Anspruch oder nicht?«
»Ihr irrt Euch. Ich nehme niemals solche Dienste in Anspruch.«
»Ja, das würde ich an Eurer Stelle jetzt auch behaupten. Außerdem seid Ihr nur ein herumziehender Spielmann. Glaubt Ihr, Ihr seid etwas Besseres als ich?«
»Der Schein trügt manchmal, Jungfer Agnes.«
Stefano wollte sich erheben. »Ich darf mich jetzt empfehlen. Und wie gesagt, sollte es Euch in Mainz missfallen, dann schließt Euch den Kindern an.«
»Herrje, seid Ihr aber von Euch eingenommen«, erwiderte Agnes ruhig und goss ihm den Rest Apfelwein über den Kopf.
Stefano erstarrte vor Verblüffung, während ihm der Wein vom Scheitel tropfte. Doch diesmal reizte ihn der Vorfall zu einem unbändigen Lachen. Was für ein perfides Weib! »Schade«, rief er, »sehr schade, dass Ihr kein Mann seid!«
Burg Hirscheck
Emanuel und Octavien hatten Mainz noch im Morgengrauen durch das südliche Tor verlassen. Sie folgten der Rheinstraße Richtung Worms. Der Ritt der beiden verlief äußerst schweigsam, denn jeder hing eigenen Gedanken nach. An der Mündung der Wieslauter verließen sie die Hauptstraße und wandten sich nach Osten. Dort gerieten sie in ein Waldgebiet mit schlechten Wegen. Dennoch konnten sie den Weg nicht verfehlen, immer der Wieslauter nach. Nach zweistündigem Ritt erreichten sie das Holzfällerdorf Elmskirchen. Dort gab man ihnen gern Auskunft, wie sie zur Ruine Burg Hirscheck gelangten, versäumte aber nicht, sie darauf hinzuweisen, dass die Ruine verflucht sei. Nun, das wussten sie bereits.
›Was kommt nach Elmskirchen?‹, hatte Emanuel gefragt. ›Der Wald‹, hatte ein Bauer geantwortet. ›Nur der große, schwarze Wald.‹
Auf ihrem weiteren Weg begegneten sie kaum einem Menschen. In der Ferne sahen sie manchmal etwas Rauch aufsteigen und einige strohgedeckte Dächer, doch je tiefer sie in den Wald eindrangen, desto weniger stießen sie auf Spuren menschlicher Besiedlung.
Die Gegend wurde steiler und bewaldeter. Bald führten nur noch Holzfäller- und Köhlerpfade durch das bergige Gelände. Hochgewachsene Tannen und Fichten standen dicht an dicht, umringten sie wie stramme Krieger eines riesigen Heeres. Felsen, groß wie Häuser, drohten an Berghängen oder lagen verstreut herum, als habe ein Riese mit ihnen Murmeln gespielt. Dichter Farn und Gestrüpp wucherten zu beiden Seiten des Weges, und oftmals verschwand der
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