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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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tänzeln, ließen sie steigen, sprangen plötzlich mit beiden Füßen auf ihre Rücken und standen mit hoch erhobenen Händen winkend auf den wild im Kreis galoppierenden Tieren. Dann sah es aus, als ob sie zu Boden stürzen müssten, nur mit dem einen Bein hingen sie noch am Pferderücken, und die Hände streiften bereits über den Rasen hin. Doch im nächsten Augenblick saßen sie wieder kerzengerade oben, und einer von ihnen hatte sogar eine Blume gepflückt und warf sie dem Herrscher zu. Da kam Leben auch in Ulug Begs Gesicht. »Nun auch ein Wettrennen!« rief er, »und dem Sieger dieses hier!« Er nahm sich die goldene Kette ab, die er am Halse trug, und hob sie hoch über die Brüstung der Balustrade, dass sie in der Abendsonne funkelte.
    Mein Vater hatte sich an den Kunststücken seiner Mannschaft nicht beteiligt, die Burschen nur angefeuert und ihre Figuren gelenkt wie ein Dirigent seine Musikanten. Nun aber sprengte er heran, und die Reiter scharten sich um ihn. Das Ziel wurde bestimmt – eine Platane am Ende des Gartens – und die Pferde flogen übers Feld. Wer als Erster den Zielpunkt erreichte, konnte ich nicht erkennen, als aber die Schar sich wandte und zurückjagte, sah ich bald, dass sich mein Vater an die Spitze gesetzt hatte. Mit einer ganzen Pferdelänge Vorsprung kam er vor dem Lusthäuschen an, löste die Füße aus den Steigbügeln, sprang seinem Hengst auf den Rücken und überreichte dem Fürsten den Platanenzweig, den er vom Baum gebrochen hatte. Eigenhändig legte ihm Ulug Beg die Ehrenkette um den Hals. So einen Vater also hatte ich. Nicht nur der beste Mensch war er, sondern auch der beste Reiter, geachtet, geehrt, umringt, geliebt: Wie sich die Burschen um ihn drängten, wie sie ihm die Hände schüttelten, wie er sie küsste, einen um den andern! Auch Achmad Ben Nisam kam herbei und sagte ihm Dankesworte – ihm hatte der Fürst ein Ehrenkleid reichen lassen, einen Umhang aus blauer, mit Silberfäden bestickter Seide, den der Perser mit sichtbarer Befriedigung trug. Aber mir gefiel er trotzdem nicht. Sein Gesicht war zu schwammig, seine dicken Finger strotzten von so vielen Ringen, dass er sie spreizen musste, und seine Stimme hatte einen Beiklang, der mich anwiderte. Wie das Fest weiterging, weiß ich nicht mehr, denn wir mussten es verlassen. Sicherlich schmausten und tranken sie bis tief in die Nacht unter dem Sternenhimmel, der nirgendwo klarer und reiner strahlt als über dieser Stadt, die ich Heimat nenne, obwohl sie mich zweimal von sich gestoßen hat, und das zweite Mal für immer. Doch davon soll später die Rede sein.
    Erst jedenfalls nahm sie mich auf in ihre Mauern, in ihre Moscheen, in ihre Gärten, in ihre Gesellschaft, in ihre Glaubensgemeinschaft.
    Der Ritus dieser Aufnahme sollte nun an mir vollzogen werden. Wir verließen also das Fest und ritten in die Stadt zurück.
    Auf dem ganzen Weg war mein Vater schweigsam, ich dafür um so gesprächiger. Tausenderlei ging mir ja durch den Kopf an diesem Tag, der so reich an Eindrücken und Ereignissen war wie keiner je in meinem bisherigen Leben. Und ich fragte und schwatzte und schwatzte und fragte und merkte kaum, wie einsilbig seine Antworten ausfielen. Bis ich endlich die Frage tat, die am heftigsten in mir wühlte und die ich mich am längsten scheute auszusprechen: »Vater, ich möchte reiten können wie du! Lehrst du es mich? Und schenkst du mir auch ein Pferd?« Seine Antwort weiß ich heute noch.
    »Wer ein guter Reiter werden will, muss tapfer sein – mutig den Gefahren entgegensehen, Schmerzen ertragen, ohne zu jammern. Heute wirst du beweisen können, dass ein solcher Mann in dir steckt. Wir reiten jetzt zum Hause Ben Nisams, und dort wird man dir einen Schmerz zufügen: Mit einem scharfen Messer einen Teil deiner Haut wegschneiden. Wenn du da tapfer bist, stillhältst, nicht schreist und nicht weinst, lehre ich dich reiten und schenke dir morgen schon ein Pferd.«
    Diese Worte machten mich verstummen. Das Haus Ben Nisams war weitaus geräumiger und prächtiger als das Unsrige, der Innenhof größer, mit Obstbäumen und blühenden Sträuchern bestanden, die Gebäude, die ihn einschlössen, von Arkaden umgeben. Aber dafür hatte ich damals kein Auge. Auch nicht für die bunten Teppiche, die unsere Schritte dämpften, als man uns aus dem Säulengang ins Innere des Hauses führte, auch nicht für die seidenen Kissen, die auf den Matten lagen und auf die wir uns niederlassen durften.
    Abbas war der Erste, der in ein

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