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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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hier liegt auch Schota Rustaweli begraben, der, wie so viele fromme Georgier, sein Leben an dieser heiligen Stätte beschließen wollte.« Und damit lenkte sie unsere Augen in die Heimat zurück und spannte den Bogen von dem einen Pol ihres Lebens zu dem andern. Und Guram ging ohne zu zögern über diese Brücke in sein Heimatland hinüber und ließ mich einen Blick tun in dessen gewaltige Bergwelt, die mit ihrer Schönheit und Wildheit, der Unerreichbarkeit ihrer Gipfel und der Schroffheit ihrer Abgründe, der Lieblichkeit ihrer Matten und der Reinheit und Klarheit ihrer Höhenluft jahrtausendelang geformt hat an der Seele des sie bewohnenden Volkes, auf dem das Schicksal nun lastet mit dem Gewicht dieser Berge.
    Wenn aber mein Vater den Raum betrat (er war ja sehr häufig abwesend, weil er sowohl seinem Herrn Ben Nisam aufwarten musste wie auch die Aufsicht über die Reit- und Jagdtiere des Hofes nicht vernachlässigen durfte), dann war mir immer, als wehe ein anderer Luftzug durch unser Haus. An seinen Kleidern hing ein Geruch von Leder und Pferdeschweiß, der mit keinem Duftwasser zu vertreiben war, sein Gang hatte etwas Erdenfestes an sich (während meine Mutter sich in ihren langen Gewändern von einem Ort zum andern so bewegte, als schwebte sie), er wusste stets etwas Spaßhaftes zu erzählen, gleich, ob es sich im Stall oder bei Hofe zugetragen hatte, er merkte sich jede schlagfertige oder witzige Bemerkung, die irgendwo fiel, aber am meisten freute ich mich, wenn er sagte: »Genug der Zimmerluft! Du musst auch einmal wieder reiten, mein Sohn!«, und mich zu seinen Pferden mitnahm.
    Mein Vorhaben hatte sich schon herumgesprochen, und die Stallburschen feierten mich wie einen kleinen Heiligen. Ich verfertigte ihnen Amulette, oder was sie dafür hielten, indem ich auf ihre Bitte die vorletzte Koransure, genannt »Das Morgengrauen«, immer wieder abschrieb. Sie lautet:
    Ich nehme meine Zuflucht zu dem Herrn der Morgenröte
    vor dem Übel dessen, was er erschaffen,
    und vor dem Übel der Finsternis,
    sobald sie sich ausbreitet,
    und vor dem Übel der Knotenbläserinnen
    und vor dem Übel des Neiders, wenn er neidet.
    Ich war mit meiner Arbeit noch längst nicht an dieser Stelle angelangt und konnte mir auch gar nicht vorstellen, was mit den »Knotenbläserinnen« gemeint sein könne, doch als ich die Burschen danach fragte, herrschte ein betretenes Schweigen. Aber der alte Muhammad Ben Ala-eddin, der zufällig gerade im Stall war, nahm mich auf die Seite und sagte flüsternd: »Man spricht nicht laut davon. Es gibt Frauen, die können Knoten in Schnüre schlingen, in die sie alle Übel der Welt einbinden. Und wenn sie mit ihrem feuchten Atem darüberfahren, werden die Übel losgeblasen und fahren in jeden, dem diese Hexen schaden wollen: Krankheit aller Art, Blitzschlag, Feuersbrunst, Schäden des Leibes und der Seele.«
    Er schwieg und sah sich scheu nach allen Seiten um, ob kein weibliches Wesen ihm zugehört hätte. Es war aber weit und breit keines zu sehen.
    Ich schrieb also fleißig meine Amulette und bat Tirsad, kleine Silberkapseln zu verfertigen, in denen sie an Kettchen auf der Brust getragen werden konnten. Meinem Oheim wagte ich nichts davon zu sagen und hatte auch selbst ein schlechtes Gewissen dabei, mich mit dem heidnischen Greuel abzugeben, aber die Burschen zeigten sich so glücklich und (ich schäme mich, es niederzuschreiben, aber ich habe mich vor mir selbst verpflichtet, mich nicht zu schonen, indem ich etwas mir Nachteiliges verschweige) sie zahlten so reichlich, dass auch das mir ein Antrieb war.
    Ich gab das Geld Tirsad. »Es kommt in die Reisekasse«, sagte er, »alles, was wir erübrigen, kommt in die Reisekasse.«
    »Reisen?« fragte ich erstaunt. »Wer will denn reisen und wann und wohin?«
    »Das fragst du? Wir alle doch! In die Heimat. Sobald du groß genug bist, um die Reise zu überstehn.« »Wer hat das gesagt?«
    »Meister Guram. Deine Mutter liegt doch deinem Vater ständig in den Ohren. Sie meint, wenn er nur wollte, würde er sicherlich eine Gelegenheit finden, aus diesem Lande zu entkommen. Er sei ja doch schon längst kein Gefangener mehr. Aber er hat Angst.«
    Als ich eine abwehrende Bewegung machte – denn meinen Vater als Ängstlichen konnte ich mir nun wirklich nicht vorstellen –, sagte Tirsad: »Nicht um sich selber, aber um dich. ›Willst du unser Kind den Gefahren der Wüste aussetzen?‹ fragte er deine Mutter. ›Wenn du schon an dich selbst nicht denken magst,

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