Schatten ueber Broughton House
durchfuhr Megan, und sie brauchte einen Augenblick, bis sie sich wieder gefasst hatte. Gewiss waren die Männer nicht tot, denn dann hätte Coffey sich wohl kaum die Mühe gemacht, sie zu fesseln. Wahrscheinlich waren sie nur bewusstlos oder mit einem Rauschmittel betäubt worden.
Sie eilte zu ihnen, dicht gefolgt von Frank, und fiel neben Theo auf die Knie. Mit zitternden Fingern tastete sie an seinem Hals und seufzte erleichtert, als sie seinen gleichmäßigen Pulsschlag spürte. „Er lebt.“
„Ja, das tun sie“, meinte Frank und begann, Dennis’ Fesseln zu lösen.
Alle schienen soweit wohlauf zu sein, und während sie sich an Theos Fesseln zu schaffen machte, entdeckte sie auch Barchester unter ihnen. „Zumindest wissen wir jetzt, dass Barchester sie nicht verraten hat. Wahrscheinlich sind sie überrascht worden.“
„Wird wohl so gewesen sein.“ Frank fluchte, da seine Finger immer wieder an dem Knoten abglitten. Wenig später stieß er einen leisen Triumphschrei aus, als er ihn endlich gelöst hatte. Nachdem er die Fesseln abgestreift hatte, begann er Dennis’ Handgelenke zu massieren, da seine Hände gewiss ganz taub waren.
„Theo!“, flüsterte Megan, während sie seine Fesseln löste. „Theo, wach auf! “ Sie hielt kurz inne und tätschelte seine Wange. „Aufwachen! Wir brauchen deine Hilfe.“
Kaum hatte sie das Seil von seinen Handgelenken gestreift, stöhnte Theo leise und wandte den Kopf. „Theo! Aufwachen.“ Sie beugte sich über ihn.
Just in diesem Moment ließen sich Schritte vom Gang her vernehmen. Entsetzt schaute Megan ihren Vater an. Was, wenn jemand kam, um nach den Gefangenen zu sehen?
Frank und Megan versteckten sich geschwind hinter einem der Schränke, und Frank zückte die Pistole, die Theo ihm überlassen hatte. Mit angehaltenem Atem warteten sie.
Eine der Gestalten im Federgewand kam in den Lagerraum. Ihr zierlicher Wuchs und der unübersehbare Hüftschwung ließen Megan vermuten, dass sie es wohl mit einer Frau zu tun hatten.
Megan und ihr Vater fürchteten, die Frau könne sich nach den Gefangenen umdrehen und bemerken, dass deren Fesseln gelöst worden waren. Aber sie würdigte die Männer keines Blickes, sondern ging schnurstracks zu einem der Tische, wo einige Flaschen und kleine Schalen auf einem Tablett standen. Sie goss eine dunkle Flüssigkeit in eine der Schalen.
Auf einmal kam Megan eine Idee. Sie sah sich nach einer geeigneten Waffe um, und ihr Blick fiel auf einen kleinen, aus Onyx geschnitzten Aztekenkopf. Genau das Richtige, dachte sie.
Mit beiden Händen hob sie den dunkel schimmernden Kopf hoch und stürzte sich aus ihrem Versteck auf die gefiederte Gestalt. Die Frau fuhr herum, und ihre Augen weiteten sich ungläubig unter ihrer Maske. Sie öffnete den Mund, doch noch bevor sie auch nur zu einem Schrei ansetzen konnte, holte Megan kräftig aus und traf sie seitlich am Kopf. Lautlos sackte die Frau in sich zusammen.
„Gut gemacht“, lobte Frank seine Tochter und wollte sich wieder um die Gefangenen kümmern.
„Nein ... hilf mir erst, ihr dieses Kostüm auszuziehen“, bat Megan ihn. „Ich werde mich damit verkleiden.“
Sie kniete sich neben die am Boden liegende Frau und nahm ihr die Maske vom Gesicht. Es war Lady Scarle.
Eigentlich keine Überraschung, dachte Megan. Immerhin hatten sie ja gesehen, wie sie an Coffeys Arm die heimliche Zusammenkunft im Museum verlassen hatte. Wahrscheinlich war sie seine Vertraute und treueste Gehilfin.
„Willst du da etwa reingehen?“, fragte Frank und hockte sich neben sie. Besorgt runzelte er die Stirn.
„Ich muss. Wenn ich diese Sachen trage, komme ich vielleicht nah genug an Dennis’ Tochter heran, um sie befreien zu können.“
Frank zögerte kurz und nickte dann. „Du hast recht. Ich versuche die Männer hier wach zu kriegen, und wir kommen dir dann zu Hilfe.“
Gemeinsam zerrten und zogen sie, bis sie Lady Scarle ihres Gewandes entledigt hatten. Drüben in der Ecke des Zimmers regten sich bereits einige der Männer, und hin und wieder stöhnte einer von ihnen leise. Megan schaute hinüber und sah, dass Theo verwirrt blinzelte. Ihre beklemmende Angst wich zusehends von ihr, doch sie erlaubte sich nicht, zu ihm zu gehen, so sehr sie sich das auch wünschte. Sie musste so rasch wie möglich in den Zeremonienraum, sonst würde man sich dort langsam wundern, was wohl aus Lady Scarle geworden war.
Frank half Megan in das Gewand hinein und setzte ihr den Kopfschmuck auf.
„Fertig! “,
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