Schatten ueber Broughton House
ich Lord Raine gar nicht, denn obwohl wir im gleichen Alter waren, bewegten wir uns nicht unbedingt in denselben Kreisen. Mein Großvater hat sein Geld im Handel verdient, müssen Sie wissen.“
Megan wusste sehr wohl, was er meinte. Sie hatte in ihrer Anfangszeit als Reporterin im Gesellschaftsressort gearbeitet, wo sie gelernt hatte, dass auch in Amerika der alte Geldadel auf Neureiche herabsah. In England, so konnte sie sich vorstellen, waren die sozialen Grenzen sicher noch schärfer gezogen, und ein Vermögen, sei es nun alt oder neu, vermochte einen niemals in die distinguierte Schicht des Adels zu erheben.
„Ich war damals Anfang zwanzig. Mein Großvater hatte darauf bestanden, dass ich zur Universität ginge. Er wünschte sich, dass ich einmal ein Gentleman sein würde. Deshalb bin ich meinem Vater auch nicht in das Familienunternehmen gefolgt. Um ehrlich zu sein, fand ich mein Leben recht langweilig, und als Großvater meinte, ich solle an der Expedition von Cavendish teilnehmen, habe ich den Vorschlag des alten Herrn daher mit Begeisterung aufgenommen. Es versprach ein richtiges Abenteuer zu werden. “ Er schüttelte betrübt den Kopf. „ Leider wurde es viel abenteuerlicher, als mir lieb gewesen wäre.“ „Cavendish?“, fragte Megan nach und vermerkte den Namen in ihrem Notizbuch.
„Ja, der alte Lord Cavendish interessierte sich sehr für die frühen Kulturen fremder Völker. Als er sich ein neues Haus in Mayfair bauen ließ, weil der alte Familiensitz - ein riesiger Bau, errichtet kurz nach dem Großen Feuer von 1666 - in einem Teil Londons lag, der nun nicht mehr vornehm genug war, ließ er in dem alten Gebäude ein Museum einrichten, in dem er seine Sammlungen und Kunstschätze ausstellte. Sein besonderes Augenmerk richtete sich auf die frühen Kulturen Süd- und Mittelamerikas, was dann auch der Schwerpunkt des Museums wurde. Nur das Hobby eines reichen alten Mannes, möchte man meinen, aber er wollte, dass seine Sammlung im ganzen Land bekannt wurde, wenn nicht gar in der ganzen Welt. Und so stellte er einen Kurator ein und begann Expeditionen zu entsenden, um Forschung zu betreiben und weitere Objekte für das Museum zu beschaffen.“
„Lord Cavendish hat demnach die Expedition finanziert.“ „Genau.“ Barchester nickte. „Der Kurator war auch mit von der Partie - das Museum hatte damals nur ihn als Angestellten, um ganz ehrlich zu sein -, Julian Coffey. Ich kannte ihn, da wir gemeinsam zur Schule gegangen waren. Auch mein Großvater interessierte sich für derlei Kunstschätze, weswegen er hin und wieder einen Brief mit Lord Cavendish wechselte oder mit ihm sprach, und Großvater hat dem Museum auch ein oder zwei Schenkungen gemacht. Er schlug mir wie gesagt vor, an der Expedition teilzunehmen, und da es nach einem Abenteuer klang und ich Julian Coffey ja kannte „Welche Rolle spielte Theo Moreland?“, unterbrach Megan ihn.
„Raines Vater, der Duke of Broughton, war mit dem alten Cavendish befreundet. Sie waren beide Sammler, müssen Sie wissen - wenngleich das Spezialgebiet des Dukes die griechische und römische Antike ist. Er wird Lord Raine von der Expedition erzählt haben, und als dieser davon erfuhr, wollte er natürlich teilnehmen. Vor ein paar Jahren, gleich nachdem er die Universität abgeschlossen hatte, ist er vom Expeditionsfieber gepackt worden. Landete in der Levante, dann in Ägypten und zog schließlich durch die Sahara. Vermutlich braucht er das Abenteuer. Wie ich gehört habe, war er seitdem auf zahlreichen Reisen.“
„Wie war er so?“, wollte Megan wissen.
Barchester zuckte die Schultern. „Eigentlich ganz normal. Julian und ich waren ziemlich überrascht, als wir ihn kennenlernten. Wir hatten damit gerechnet, dass er bestimmt schnell schlappmachen würde, anmaßend wäre und erwartete, dass alle ihm zu Diensten seien. Aber er war immer der Erste, der mit anpackte, und wollte nie eine Sonderbehandlung. Wir waren kaum einen Tag auf dem Schiff, da nannten wir ihn schon Theo. Es war ... nun ja, wir glaubten alle, es würde die Reise unseres Lebens werden.“
Sein angenehm aussehendes Gesicht verdüsterte sich einen Augenblick. „Wahrscheinlich war sie das auch - nur anders als erwartet.“ Eilig fuhr er fort: „Der Leiter der Expedition war ein Bursche namens Thurlew. Howard Thurlew. Er hatte schon früher für Lord Cavendish gearbeitet, aztekische Ruinen in Mexiko ausgegraben und dergleichen. Die Reise war sogar seine Idee, weil er hoffte, am Oberlauf
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