Schatten ueber Broughton House
ein wenig warten. Es war gut, dass Theo bereits wieder zu Hause war, denn nun musste sie sich keine Sorgen machen, dass er genau dann zurückkehrte, wenn sie im Kabinett des Dukes war. Megan setzte sich wieder in ihren Sessel, ein aufgeschlagenes Buch ungelesen im Schoß, und versuchte sich bis Mitternacht zu gedulden.
Jetzt waren sicher alle zu Bett gegangen. Sie streifte ihre Schuhe ab und ging auf Strümpfen zur Tür. Ein letztes Mal lauschte sie hinaus auf den Gang, und weil dort alles ruhig war, machte sie sich auf den Weg. Alle Türen waren verschlossen, und aus keinem der Gemächer drang ein Laut. Megan schaute in die entgegengesetzte Richtung, und auch hier lag alles in stiller Finsternis.
Sie atmete tief durch und lief zur Dienstbotentreppe, die weiter vom Familientrakt entfernt lag als die Haupttreppe. Es war unwahrscheinlich, dass jemand sie dort hören würde, denn nach den Mühen des Tages schliefen die Bediensteten längst tief und fest in ihren Dachkammern.
Unten angekommen, schlich Megan den spärlich beleuchteten Gang entlang bis zum Studierzimmer des Dukes. Die Tür war geschlossen. Vorsichtig drehte Megan den Knauf. Sie erstarrte, und das Herz schlug ihr bis zum Hals, als die Tür sich erst verhakte und dann geräuschvoll ein Stück aufsprang.
Im Haus blieb alles still. Niemand in den im Geschoss darüber gelegenen Schlafgemächern konnte es gehört haben, versuchte Megan sich zu beruhigen. Nur ihr war das Geräusch über die Maßen laut erschienen. Sie öffnete die Tür ganz und schaute in das dunkle Zimmer. Im schwachen Lichtschein, der vom Gang hereindrang, konnte sie die dunklen Umrisse der Möbel ausmachen.
Neben der Tür befand sich eine Wandleuchte, und Megan tastete herum, bis sie den Schalter für das Gaslicht gefunden hatte. Vorsichtig drehte sie ihn, bis ein hellgelber Schein das Zimmer schwach erhellte.
Sie brauchte nur genügend Licht, um zu dem wuchtigen Schreibtisch aus Walnussholz zu gelangen. Die Zwillinge hatten zwar nicht gesagt, wo genau sich der Schlüssel für das Kabinett befinde, aber der wahrscheinlichste Ort schien Megan der Schreibtisch zu sein. Und genau dort wollte sie ihre Suche beginnen. Rasch ging sie zu Werke, zog die Schubladen der Reihe nach auf und wurde schon bald in der obersten linken Lade fündig.
Gleich mehrere Schlüssel lagen darin, und glücklicherweise hingen an jedem kleine Schildchen. Als sie den Schlüssel gefunden hatte, der mit „Kabinett“ beschriftet war, nahm sie ihn an sich, schloss die Schublade und richtete sich auf.
In der Tür stand Theo Moreland.
Megan stieß einen kurzen Schrei aus und hielt sich sogleich die Hand vor den Mund. Entsetzt starrte sie Theo an.
Wie lange stand er schon da? Was hatte er gesehen?
„Verzeihen Sie“,meinteTheo..,Ich wollte Sie nicht erschrecken.
Aber als ich in der Bibliothek war, hörte ich ein Geräusch.“
„Ich ... ich hatte nicht erwartet, zu dieser Stunde noch jemanden hier anzutreffen.“ Ihre Finger schlossen sich fest um den Schlüssel in ihrer Hand. Wenn Theo nicht gesehen hatte, wie sie ihn aus der Schublade genommen hatte, konnte sie vielleicht davonkommen, ohne gleich hinausgeworfen zu werden - oder gar noch Schlimmeres. Das Zimmer schien Megan auf einmal finster und bedrohlich und weitab von den anderen Hausbewohnern zu sein.
„Gewiss“, erwiderte Theo süffisant. „Warum auch - immerhin befinden Sie sich im Studierzimmer meines Vaters.“
„Ich habe ein Buch gesucht“, erklärte Megan ruhig. „Als Bettlektüre. “
Theo kam herein, trat hinter den Schreibtisch und blieb vor Megan stehen. Er ließ seinen Blick über die Regalreihen schweifen, die eine Seite des Raumes ausfüllten.
„In der Bibliothek wären Sie sicher eher fündig geworden“, bemerkte er milde. „Es sei denn, Sie wollen unbedingt etwas über ionische Säulen, mykenische Kunst oder den Tempel des Hephaistos erfahren.“
Megan wurde bewusst, wie dumm ihre Ausrede klingen musste, doch war es das Erstbeste gewesen, was ihr in den Sinn gekommen war. Nun war Dreistigkeit gefragt.
„Ich suchte etwas, worüber ich einschlafen würde“, erwiderte sie und deutete auf den Band, der aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag. „Und das hier schien mir recht gut dafür geeignet zu sein.“
Während Theo einen Blick auf das Buch warf, ließ sie den Schlüssel in ihrer Rocktasche verschwinden.
„So scheint es“, pflichtete Theo ihr bei. „Wenngleich ich ja des Griechischen kaum noch mächtig bin.“
Bei
Weitere Kostenlose Bücher