Schatten ueber Broughton House
und ihnen aufgeregt von etwas erzählen würden, was sie und Theo sich unbedingt anschauen müssten. Doch Theos Gleichmut war ihr nur ein weiteres Ärgernis an einem ohnehin schon wenig erfreulichen Tag. Gerade wollte sie zu einer spitzen Bemerkung ansetzen, da vernahm sie Schritte.
Als sie sich umdrehte, sah sie einen Mann aus dem hinteren Teil des Hauses auf sie zukommen. Er war von mittlerem Wuchs und hatte hellbraunes Haar, das an den Schläfen schon stark gelichtet war. Den Mangel an Haupthaar glich er indes mit buschig wachsenden Koteletten aus. Sein dunkler Anzug und weißes Hemd mit gestärktem Kragen und breiten Manschetten wirkten auf den ersten Blick eher schlicht, doch sowohl der Schnitt als auch der Stoff seiner Kleidung waren elegant und teuer und seine schwarzen Schuhe auf Hochglanz poliert. In der dunkelgrauen Seide seines Halstuches steckte eine perlenbesetzte Krawattennadel.
Er kam lächelnd auf sie zu und sagte: „Lord Raine, das ist in der Tat eine Ehre. “
„Coffey“, erwiderte Theo knapp und nickte ihm kurz zu.
„Ich freue mich sehr, dass Sie und die Dame beschlossen haben, heute das Museum zu besuchen.“ Mit leicht fragendem Blick wandte er sich an Megan.
„Erlauben Sie mir, Ihnen Miss Henderson vorzustellen“, sagte Theo ohne jede Begeisterung. „Miss Henderson, Mr. Julian Coffey, der Kurator des Cavendish. “
„Angenehm“, sagte Coffey, ergriff ihre ausgestreckte Hand und beugte sich galant darüber.
Mit seinen hellgrauen Augen betrachtete er Megan aufmerksam, und ihr war es, als ob er mit einem einzigen Blick ihre gesamte Garderobe auf ihren Wert hin beurteilt hatte, von ihrem Strohhut bis hin zu ihren robusten schwarzen Schnürschuhen.
„Ich bin Hauslehrerin bei den Morelands“, ließ sie ihn wissen, denn sie wollte nicht, dass Mr. Coffey sie auch nur einen Moment lang für Theos Geliebte hielt. „Constantine und Alexander sind mit uns gekommen, doch ich fürchte, dass sie uns gerade entwischt sind.“
„Die Jungen werden sicher recht viel von Interesse hier finden“, meinte er höflich. „Aber ich hoffe inständig, dass Sie und Lord Raine mir gestatten, Sie in meinem kleinen Reich herumzuführen.“ Er bedachte sie beide mit einem flüchtigen, etwas herablassenden Lächeln. „Sie müssen nämlich wissen, dass mir das Cavendish nicht nur Beruf, sondern auch Berufung ist.“ „Ja, ich weiß“, erwiderte Theo überraschend kühl und scharf. Megan ließ seine fast schon unhöfliche Reaktion aufhorchen. Sie sah ihn an: Sein Gesicht war glatt und reglos, und seine Augen, die zumeist lebhaft funkelten, verrieten keinerlei Gefühlsregung. Ganz offensichtlich mochte er Mr. Coffey nicht - was Megan überhaupt nicht verwunderlich fand, wenn man bedachte, was Coffey über ihn wusste.
„Das wäre sehr nett“, meinte sie rasch, um Theos barschen Ton abzumildern.
Schon allein die Tatsache, dass Theo diesen Mann nicht in seiner Nähe haben wollte, genügte ihr, um Coffey zum Bleiben zu bewegen. Außerdem war sie gespannt darauf, was sich zwischen den beiden noch abspielen würde. Vielleicht würde es sich ja doch noch als nützlich erweisen, dass Theo darauf gedrängt hatte, mit ins Museum zu kommen. Zwar konnte sie Coffey nicht befragen, während Theo bei ihnen war, aber auch die Art und Weise, wie Theo sich Coffey gegenüber verhielt, konnte aufschlussreich sein. Sie würde später noch einmal herkommen, um sich mit Coffey allein zu unterhalten. Vielleicht ergab sich auch sofort eine Gelegenheit - wenn sie nur Theo davon überzeugen könnte, endlich nach den Zwillingen zu suchen! „Diese Figur hat mich besonders neugierig gemacht“, meinte sie und führte Coffey in den Raum, in dem sie gerade gewesen waren.
Sie war gespannt darauf, was Coffey über die Gegenstände in der Vitrine erzählen würde, die Theo in so düstere Gedanken hatten versinken lassen.
„Ah ja“, bemerkte Coffey und deutete auf den einem kleinen Spaten ähnlichen Gegenstand. „Das ist ein tumi, ein Zeremonienmesser der Inka.“ Er warf Theo einen kurzen Blick zu, bevor er fortfuhr: „Obwohl es vorne gerundet ist, hat es doch eine recht scharfe Klinge. Die Inka benutzten es für rituelle Opferungen. “
„Opferungen?“, wiederholte Megan verwundert.
„Zumeist ein Lama oder ein anderes Tier. Manchmal opferten die Inka allerdings auch Kinder.“
.Kinder?“ Megan erblasste. „Wie furchtbar!“
„Gemäß unseren westlichen Vorstellungen ist es das gewiss. Aber die Inka waren
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