Schatten ueber Broughton House
von ausgestopften Jaguaren, Papageien und Affen über Nachbildungen schmaler Boote vom Amazonas hin zu kostba ren Kunstgegenständen, die in Glasvitrinen ausgestellt waren. Selbst Megan war fasziniert, obwohl sie so wenig über Südame rika wusste.
Da das Museum einst ein Wohnhaus gewesen war, bestand es aus vielen einzelnen Räumen, manche davon groß, andere eher klein. In den ersten beiden Räumen fanden sich ausgestopfte Tiere, unter anderem ein langhalsiges Lama, und Zeichnungen von der Flora und Fauna Süd- und Mittelamerikas. An den Wänden hingen Decken und Ponchos in leuchtenden Farben und mit geometrischen Mustern.
Im nächsten Raum wurden fremdartig anmutende Masken ausgestellt, manche davon aus Gold, Silber und Kupfer. Eine stellte das Gesicht eines Mannes dar, breit und eckig mit großen mandelförmigen Augen und riesigen Ohrringen und einem bogenförmigen Kopfschmuck über der Stirn. In einer anderen Maske erkannte Megan das weit aufgerissene Maul eines Jaguars mit langen, bedrohlichen Zähnen, die zu beiden Seiten hervorsprangen. Im Innern des Mauls entdeckte sie das stilisierte Gesicht eines Mannes, und beide - das menschliche Gesicht und das des Jaguars - schienen vor ihren Augen zu einem einzigen Wesen zu verschmelzen.
Sie beugte sich vor, um es genauer betrachten zu können. „Wie seltsam. Was ist das?“
„Der Jaguargott“, erwiderte Theo tonlos.
Megan schaute fragend auf. Theos Miene verriet keine Regung. „Auch der Sonnengott genannt. Bei Tage ist er der Sonnengott, der höchste aller Götter, doch wenn er in die Dunkelheit der Unterwelt hinabsteigt, wird er zum Jaguargott - dem Gott des Krieges.“
Megan erschauerte. Die Maske war ziemlich furchteinflößend. Sie wandte sich ab und schlenderte weiter durch den Raum, sah sich die anderen Masken an, von denen einige aus Stoff oder Keramik gefertigt und mit Federn geschmückt waren. Alle stellten sie menschliche Gesichter dar, Gottheiten und Krieger, oder aber Tiere - Vögel mit langen Schnäbeln und Schlangen mit weit aufgerissenem Maul, oft auch eine Mischung aus beidem.
In der Mitte des Raumes standen in einer Glasvitrine einige kleine Figuren. Manche aus Gold und Silber, andere aus schwarzem Stein geschnitzt. Eine Figur mit Kopfschmuck lief nach unten hin in eine halbrunde Klinge aus, die wie ein winziger Spaten wirkte.
Megan betrachtete Theo verstohlen. Er blickte schweigend in die Vitrine, und seine Miene wirkte dabei unendlich abwesend und traurig. Er wirkte wie ein Mann, der sich bitteren Erinnerungen gegenübersieht, und abermals verspürte sie mit einem schmerzlichen Stich die Gewissheit, dass Theo mit schweren Schuldgefühlen lebte.
Das Herz wurde ihr schwer, und auf einmal stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie wandte sich ab und schluckte die heftigen Empfindungen hinunter, die sie zu überwältigen drohten.
Froh über jede Ablenkung, schaute sie sich nach den Zwillingen um. In dem weitläufigen Haus hatte es nicht lange gedauert, bis die beiden Jungen ihnen entwischt waren. Sie konnte sie nicht einmal mehr hören.
„Oh je“, meinte sie. „Wo sind Con und Alex?“
Sie ging zurück und schaute in die Eingangshalle. „Jungs!“ Als von den beiden keine Antwort zu vernehmen war, wurde Megan doch etwas beklommen zumute. Sie sah in den nächsten Raum, aber auch dort waren sie nicht. Mit bestürzter Miene kehrte sie zu Theo zurück, der ihr in die Eingangshalle hinausgefolgt war. „Wo sind sie nur abgeblieben?“
Theo zuckte mit bemerkenswertem Gleichmut die Schultern. „Die Zwillinge haben Talent dafür, spurlos zu verschwinden. Seien Sie unbesorgt - sie haben es auch an sich, wieder unversehrt aufzutauchen, wenn man gerade begonnen hat zu fürchten, ihnen könne etwas Schreckliches zugestoßen sein.“
„Sie scheinen das recht gelassen zu nehmen“, entgegnete Megan verärgert.
„Die Zwillinge können gut auf sich selber aufpassen“, erwiderte Theo lächelnd. „Zumindest können wir gewiss sein, dass sie irgendwo hier im Haus sind. Viel beunruhigender ist, wenn man sie inmitten der Stadt aus den Augen verliert, was mir leider schon einmal passiert ist. Aber bei den Kleinen Großen spart man sich seine Besorgnis besser auf, bis man erfährt, dass sie tatsächlich in Gefahr sind. Ansonsten bekommt man nur vorzeitig graues Haar.“
Megan wusste, dass die Zwillinge durchaus in der Lage wa- ren, selbst auf sich aufzupassen, und zweifelte keineswegs da ran, dass die beiden in ein paar Minuten wieder angerannt kämen
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