Schatten ueber Broughton House
zurechtkommen.“
„Das habe ich“, stellte Theo rasch klar. „Und Miss Henderson ist bemerkenswert ruhig geblieben - sie scheint wohl zu wissen, woran sie bei euch beiden ist.“
Die Köchin hatte ihnen ein Picknick eingepackt, und so begaben sie sich mit ihrem gut gefüllten Essenskorb in den Hyde Park, wo sie es sich auf einer Decke auf dem Boden gemütlich machten. Während sie aßen, lachten und redeten sie viel, und danach rannten die Zwillinge los, um Drachen steigen zu lassen. Theo und Megan schauten ihnen dabei zu und feuerten sie an.
Megan konnte nicht umhin, den Ausflug zu genießen. Das Essen war köstlich, der Tag herrlich mild, und die Zwillinge brachten sie zum Lachen. Sie versuchte sich einzureden, dass es lediglich die Gesellschaft der Jungen war, die sie so sehr erfreute, doch sie wusste sehr genau, dass sie sich nur etwas vormachte.
Es war Theos Anwesenheit, die das Picknick so vergnüglich machte. Sie konnte kaum neben ihm auf der Decke sitzen, ohne sogleich gewisse Gefühlsregungen zu verspüren. Ihr war, als könne sie sich das Ganze einfach aus dem Kopf schlagen - und damit auch ihn wenn sie nur wüsste, was ihn für sie so anziehend machte. Aber als sie ihre Gefühle zu ergründen versuchte, stellte sie fest, dass es keineswegs nur eine Eigenschaft war, die seinen Reiz ausmachte. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr faszinierte er sie. Es war sein plötzlich aufscheinendes Lächeln und die Art, wie seine grünen Augen dabei unter den dramatisch geschwungenen schwarzen Brauen funkelten. Es war der tiefe Klang seiner Stimme, der sie im Innern erbeben ließ, wenn er sprach. Es war der Hauch seines Atems auf ihrer Wange, wenn er sich zu ihr beugte, um ihr eine leise Bemerkung zuzuflüstern. Es war seine kraftvolle Ausstrahlung, wenn er so neben ihr saß, und sie seine Wärme spüren konnte.
Vor allem aber war es das Wilde und Ungezähmte, das von ihm ausging und das sich nicht nur darin zeigte, dass sein etwas zu langes Haar stets unachtsam zerzaust war oder in der kleinen Narbe, die gefährlich nahe seinem Auge verlief, oder in den kräftigen Muskeln unter dem glatten Stoff seines Gehrocks. Es war die Andeutung einer wilden Ursprünglichkeit, die unter der kultivierten Oberfläche zu erahnen war, die immer vorhandene leichte Rastlosigkeit und unbändige Energie, die Megan faszinierend und ein wenig beängstigend zugleich fand.
„Was treibt Sie?“, fragte sie daher nun.
Er sah sie etwas verdutzt an. „Wie bitte? Wie meinen Sie das?“
„Die Jungen haben mir erzählt, dass Sie fast die ganze Welt bereist haben. Warum? Wonach suchen Sie?“
„Ich weiß es nicht genau.“ Sein Blick schweifte nachdenklich in die Ferne. „Abenteuerlust, nehme ich mal an. Das würden zumindest die meisten Reisenden sagen.“
„Und was würden Sie sagen?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher. Ich will einfach ... etwas anderes sehen. Etwas anderes tun.“ Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, legte er sich auf den Boden und schaute in die Baumkronen hinauf. „Ich wollte nie Lord Raine sein und habe wahrlich kein Verlangen danach, eines Tages der Duke of Broughton zu werden. Reed hingegen würde einen exzellenten Duke abgeben. Verantwortungsbewusst, bedächtig, umsichtig.“ Er sah Megan mit lachenden Augen an. „Er hat all die Eigenschaften, die mir abgehen - wie meine Großtante Hermione Ihnen gerne bestätigen kann. Mich hingegen interessiert, was es sonst noch auf der Welt gibt.“
„Dabei kann das auch sehr gefährlich sein, nicht wahr?“
„Es kann sehr aufregend sein“, meinte Theo. „Ich will nicht leugnen, dass gerade dies einen gewissen Reiz ausmacht.“
Er schaute zu ihr auf, und seine Stimme klang auf einmal ganz sanft, als er sagte: „Empfinden Sie denn nicht genau dasselbe?“
Megan blickte in seine Augen und spürte abermals jene lockende Anziehung. War es das, was sie so sehr zu ihm hinzog? Die Aufregung? Die Gefahr? Sie wusste, dass sie dafür empfänglich war - es war genau das, was sie immer wieder dazu trieb, neuen Geschichten hinterherzujagen. Doch im Laufe ihrer Arbeit als Reporterin war sie einigen gefährlichen Männern begegnet, und keinen von ihnen hatte sie sonderlich reizvoll gefunden. Bei Theo musste es mehr sein - etwas, das so wenig greifbar war wie Rauch und doch so verzehrend wie Feuer.
„Ist nicht das der Grund, weswegen Sie nach England gekommen sind?“, fuhr er fort. „Zumindest einer der Gründe?“ Erschrocken horchte sie
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