Schatten ueber Hollywood
sie hat er keinen Namen mehr.« Dann schüttelte die Gestalt den Kopf und klang plötzlich menschlicher. »Und es gibt keine Telefone. Rocky Beach liegt fünfzehn Meilen entfernt von hier; mach dich auf den Weg.«
»Hören Sie doch«, sagte Justus. »Ich bin entführt worden. Ich habe keine Schuhe und laufe im Schlafanzug herum! Ich bin halb verhungert und verdurstet, und da soll ich fünfzehn Meilen zu Fuß gehen? Dann hätten Sie Ihr Messer auch behalten können!«
»Mein Messer.« Die Gestalt streckte eine knochige Hand aus. »Gib es mir.«
Justus zögerte. Es passte ihm gar nicht, sein einziges Werkzeug und seine einzige Waffe wieder herzugeben. Aber dann zog er es doch aus der Tasche und warf es der Fremden zu. Die knochige Hand fing es mit einer raschen, sicheren Bewegung auf und ließ es in den Schichten der Kleidung verschwinden.
»Haben Sie den Mann gesehen, der mich entführt hat?«, fragte er. »Kennen Sie ihn?«
»Du stellst zu viele Fragen«, gab die Alte barsch zurück.
»Das kann schon sein«, sagte Justus unerschrocken, »aber wenn Sie mir nicht helfen, machen Sie sich der Beihilfe zu einer Straftat schuldig, Paragraf –«
Weiter kam er nicht, denn die alte Frau begann heiser und krächzend zu lachen. »Ich werde dir helfen«, sagte sie dann und kicherte noch immer in sich hinein, »aber nicht wegen irgendwelcher alberner Paragrafen. Wie ist dein Name?«
»Justus Jonas von den drei Detektiven.«
Ein heiseres Lachen. »Ah, du bist also Justus.«
»Kennen Sie mich denn?«, fragte Justus verdutzt.
»Ich habe eine Karte von euch gefunden.« Die knochige Hand wies auf das Haus, in dem Justus gefangen gewesen war. »Komm mit.«
Justus verschränkte die Arme und blieb stehen. »Nur, wenn Sie mir sagen, wer Sie sind.«
»Nenn mich Jezabel«, sagte die krächzende alte Stimme. »Ich sammle Träume.« Die verhüllte Gestalt wandte sich um und schlurfte davon.
»Sie tun was?«, fragte Justus, aber sie gab keine Antwort, sondern winkte nur ungeduldig. Also folgte er ihr.
Sie führte ihn zu einer weiteren verfallenen Villa, betrat aber nicht das Haus, sondern ging an der Garage vorbei und öffnete die Tür zu einem alten Schuppen. »Komm herein.«
Er wusste noch immer nicht, was er von ihr halten sollte. »Sie zuerst.«
Jezabel lachte tonlos. »Das ist mein Zuhause. Glaubst du, ich sperre dich darin ein?«
»Das weiß ich nicht. Mir fehlen die Informationen, die ich benötige, um Ihre Handlungsweise einschätzen zu können. Schließlich wollten Sie mich eben noch aus der Stadt jagen.«
»Keine Sorge, das will ich immer noch. Aber wenn ich dich loswerden wollte, wäre es kontraproduktiv, dich einzusperren, meinst du nicht?«
»Das stimmt wohl«, gab Justus zu und trat ein.
Er war nicht ganz sicher, was er erwartet hatte. Irgendeine armselige Behausung vermutlich, aus Sperrmüll karg eingerichtet. Stattdessen kam er in ein Museum.
Der Schuppen war nicht größer als die Zentrale, aber jeder Zentimeter der Wände war mit Fotos bedeckt. Es mussten Tausende sein, viele von ihnen angesengt oder eingerissen, als hätten sie jahrelang vergessen im Dreck gelegen, bis Jezabel sie gefunden und mitgenommen hatte. Die Fotos selbst zeigten nichts Besonderes, es waren typische Aufnahmen wie aus Fotoalben: spielende Kinder, Portraits, Haustiere, Häuser oder Landschaftsausschnitte. Dazwischen hingen vergessene Kleinigkeiten aus dem Alltag: ein gehäkelter Kinderschuh, Haarschleifen, abgegriffene Bilderbücher, Dutzende von zerschlissenen Stofftieren und zerbrochenen Puppen.
An der Wand stand ein altes Feldbett mit einer Matratze, über die eine bunt gewebte Decke ausgebreitet war. Ansonsten gab es nur noch zwei alte Holzkisten. In der einen lagen ein paar Vorräte, in der anderen Teller und schäbiges Besteck. Mehr schien die alte Frau nicht zu besitzen. Aber der ganze Raum roch nach dem Strauß frischer Lavendelzweige, den sie neben dem Bett in einer alten Dose aufgestellt hatte.
Er drehte sich zu der alten Frau um. »Sind das die Träume, die Sie sammeln?«
Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Ja.« Auch ihre Stimme war jetzt scharf. »Was dagegen?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich –«
»Du denkst wohl, ich bin verrückt? Eine senile alte Schachtel, die hier draußen mitten im Nichts hockt und Müll um sich auftürmt, ha?«
»Nein, gar nicht! Ich finde es nur ungewöhnlich.«
»Junge, sei froh, wenn du in deinem Leben nichts Ungewöhnlicheres triffst als mich.«
Justus wollte schon antworten,
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