Schatten ueber Hollywood
tappte er hinaus.
Der Garten war ebenso ein Trümmerfeld wie das Haus. Ein großer, nierenförmiger Swimmingpool war zur Hälfte mit Schutt und Erde gefüllt. Das Gras war zum Teil verdorrt, zum Teil wild über alle Grenzen hinausgewuchert und hatte die ehemaligen Blumenbeete völlig erstickt. Ein paar Palmen ragten aus riesigen Hibiskussträuchern, deren rosa Blüten einen starken Geruch verströmten. Falls es hier draußen noch nach Lavendel roch, ging der Duft völlig unter.
Da Justus noch immer dringend auf die Toilette musste, tappte er auf seinen lumpenumwickelten Füßen zu den Sträuchern hin. Verrückt eigentlich, dachte er und duckte sich außer Sicht. Hier ist doch niemand.
Aber trotzdem hatte er das deutliche Gefühl, dass er hier ganz und gar nicht sicher war. Sein Entführer konnte jederzeit zurückkommen und sich leicht ausrechnen, dass sein ehemaliger Gefangener noch nicht weit gekommen sein konnte. Und da war ja noch der Unbekannte, der ihm das Messer zugeworfen hatte. Wo versteckte er sich? Beobachtete er ihn?
Justus spähte nach allen Seiten und schlüpfte wieder hinaus. Er schlug einen weiten Bogen um das Haus, stieß jedoch bald auf einen hohen, verrosteten Stacheldrahtzaun. Er lief daran entlang und sah ein Hausdach zwischen den Palmen des Nachbargartens. Sein Herz schlug schneller. Vielleicht konnte er die Bewohner um Hilfe bitten und die Polizei anrufen! Tante Mathilda, Onkel Titus und natürlich Peter und Bob machten sich wahrscheinlich schon die größten Sorgen. Doch als er die Straße erreichte und sich dem Haus zuwandte, sah er, dass ihm in diesem Haus niemand helfen würde. Auch hier waren alle Fenster zerbrochen und dunkel und das Dach war halb eingestürzt. Justus blieb auf der Straße stehen und schaute sich um.
»Hierher kommt schon lange niemand mehr«, hatte der Entführer gesagt, und nun verstand Justus auch, warum.
Er war in einer Geisterstadt.
Natürlich gab es unzählige Geisterstädte in Kalifornien. Zur Zeit des Goldrauschs waren Dutzende kleiner Orte gegründet und ebenso schnell wieder verlassen worden. Einige waren abgebrannt, andere versanken im Sumpf, wieder andere verrotteten still vor sich hin oder wurden zu kitschigen Touristenfallen umgebaut. Aber diese Stadt stammte nicht aus der Goldgräberzeit. Justus drehte sich zu dem Haus um, in dem er gefangen gewesen war. Es war einmal eine sehr teure Villa gewesen, vielleicht aus den 50er Jahren, als Schauspieler und Produzenten die glänzenden Parties feierten, für die Hollywood berühmt gewesen war. Jetzt war es eine zerfallende Erinnerung an eine große Zeit, die nur noch in alten Schwarz-Weiß-Filmen lebte.
Auch eine Art Goldrausch , dachte Justus und fröstelte unwillkürlich. Es kam ihm zu Bewusstsein, dass er höchst unvorsichtig mitten auf der Straße im Mondlicht stand, deutlich sichtbar für jeden böswilligen Beobachter. Doch er war jetzt sicher, dass sein Entführer nicht in der Nähe war. Aber was war mit dem anderen?
»Hallo!«, rief er. »Kommen Sie heraus! Ich weiß, dass Sie hier sind!«
Seine Stimme klang erschreckend laut in der Stille der toten Stadt, und als er schwieg, war das Schweigen noch bedrückender geworden.
Dann regte sich einer der Schatten am Nachbarhaus. Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und trat ins Mondlicht hinaus. Sie hatte sich in mehrere Schichten Kleidung gehüllt und ein Tuch wie eine Kapuze über den Kopf geworfen, so dass das Gesicht im Schatten blieb. Ein Hauch von Lavendelduft ging von ihr aus.
»So, mein Junge«, sagte eine heisere, tonlose Stimme, »du kommst mir also in die Quere.«
Jezabel
Justus schluckte schwer. Es war nicht die Stimme seines Entführers, aber sie klang unheimlich genug. »Was meinen Sie damit?«, fragte er und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass er hier mitten in einer Geisterstadt ziemlich wehrlos in der Schlafanzughose stand. »Wer sind Sie?«
Die Gestalt blieb in zehn Metern Entfernung stehen. »Ich lebe hier. Und du hast hier nichts zu suchen. Ich will, dass du verschwindest und nie wieder zurückkommst. Geh!«
Er war jetzt recht sicher, dass er einer alten Frau gegenüberstand, aber wenn sie allein in einer Geisterstadt lebte, war sie möglicherweise nicht ganz richtig im Kopf. »Ich weiß ja nicht einmal, wo ich bin. Was ist das für ein Ort? Wie weit bin ich von Rocky Beach entfernt? Und wo kann ich hier telefonieren?«
»Dieser Ort ist tot«, sagte die heisere Stimme. »Tot wie seine Bewohner. Und ebenso wie
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