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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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phantastischer Vater sein wird und dass ich ihm das niemals nehmen würde.» Roberts Stimme
    brach. «Sag ihm, er war der beste Freund, den ich je hatte,
    und nichts sonst.»
    Sara nickte wieder, sie versuchte, die neue Situation zu
    begreifen.
    «Es tut mir Leid, dass ich dir den Mund zugeklebt habe.
    Ich weiß, ich hatte versprochen, es nicht zu tun.»
    Sara sah ihm nach, als er ging. Sie war völlig hilflos. Sekunden später hörte sie eine Wagentür, dann wurde ein
    Motor gestartet. Sie erkannte den kaputten Auspuff von
    Roberts Truck, als er aus der Einfahrt fuhr.
    Er war fort.
    Wieder begann Sara zu weinen, diesmal vor Erleichte‐
    rung. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie je schon so viel geweint hatte wie hier. Ihre Nase lief, und sie schniefte.
    Durch das Klebeband bekam sie keine Luft. Schnell legte
    sich das Hochgefühl, und als sie um Atem rang, geriet sie in Panik. Es dauerte Sekunden, bis sich der klaustrophobi-sche Anfall legte. Sie musste aus dem Schaukelstuhl kom‐
    men. Sie konnte nicht einfach hier sitzen und warten, bis Nell oder Possum oder Jeffrey irgendwann kamen, um sie
    zu retten. Sie konnte nicht zulassen, dass einer von ihnen –
    vor allem Jeffrey – sie so fand: hilflos, verängstigt. Keiner durfte sie je wieder so sehen.
    Sara suchte nach irgendetwas, das ihr helfen würde,
    hier rauszukommen. Wenn sie vorwärts schaukelte,
    würde sie mit dem Gesicht voraus auf dem Boden landen,

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    also lehnte sie sich seitwärts, bis sie den Stuhl zum Kippen
    brachte.
    Sie krachte mit dem Kopf auf die Dielen, und wieder
    wurde ihr schwindelig. Ein heftiger Schmerz schoss durch
    ihre Schulter, aber auch die Armlehne hatte sich durch den
    Aufprall gelockert. Sie riss mehrmals an dem Holz, doch
    die Lehne hielt. Der Schaukelstuhl war wahrscheinlich
    älter als sie alle zusammen, von Nells Vorfahren für die Ewigkeit gebaut.
    Sara holte Luft und versuchte nachzudenken. Wegen
    der Kufen des Schaukelstuhls konnte sie sich nicht einfach auf alle viere drehen und in den Flur kriechen. Robert
    hatte ihre Handgelenke gefesselt, doch nicht die Finger.
    Wenn sie nicht vom Stuhl loskam, konnte sie wenigs‐
    tens versuchen, sich das Band vom Mund zu reißen. Dann
    könnte sie schreien. Wenn sie nur schreien könnte – selbst
    wenn sie niemand hörte –, wäre alles gut.
    Mit aller Kraft versuchte Sara, mit der Hand an ihren
    Mund zu kommen. Nach ein paar Minuten hatte sich das
    Klebeband in einen dünnen Streifen verwandelt, der ihr
    ins Fleisch schnitt, doch Sara zerrte weiter und dehnte das
    Band bis zum Äußersten. Als das Band nicht mehr nach‐
    gab, rieb sie den Arm hin und her. Sie schürfte sich die Haut auf, der Klebstoff formte schwarze Krümel, doch
    Sara schaffte es, den Arm noch ein paar Zentimeter mehr
    zu bewegen. Doch jetzt riss die Haut auf, Blut begann unter der Fessel hervorzusickern.
    Sara versuchte, die Situation wie eine Mathematik‐
    aufgabe anzugehen. Sie bedachte die Variablen und kal‐
    kulierte ihre Schmerzgrenze ein. Dann versuchte sie, den
    Oberkörper freizubekommen, drückte den Rücken durch,
    so weit es das Klebeband erlaubte, und verrenkte sich, bis 424
    ihre Schulter vor Schmerz raste. Doch sie gab nicht auf, sondern wand sich, zerrte und riss, bis sie es schaffte, die Hand bis auf wenige Zentimeter an den Mund heranzu-führen. Ihre Finger waren schon ganz weiß, weil kein Blut mehr zirkulierte, doch schließlich schaffte Sara es, den
    Knebel mit dem Mittelfinger zu berühren.
    Sie genehmigte sich eine kurze Erholungspause und
    zählte bis sechzig, ihr Arm und die Schulter pochten
    dumpf. Sie hatte das Klebeband berührt. Das reichte, da‐
    mit sie nicht aufgab. Jetzt versuchte Sara es noch einmal mit aller Kraft. Schweiß und Blut und Speichel hatten dem Klebstoff zugesetzt, und mit letzter Anstrengung schaffte
    sie es, ein Ende des Klebebands zwischen die Finger zu be‐
    kommen und zu ziehen.
    Aber ihre Kraft reichte nicht.
    Das Atmen wurde schwerer, und wieder hatte sie das
    Gefühl, dass sich der Raum um sie drehte. Doch sie zwang
    sich, nicht aufzugeben, so nah vor dem Ziel. Trotz der
    Schmerzen schaffte sie es, ein letztes Mal all ihre Kräfte zusammenzunehmen. Diesmal gelang es ihr, das Klebeband abzuziehen. Sie riss den Mund auf, schnappte nach
    Luft wie ein Ertrinkender.
    «Ha!», schrie sie in den leeren Raum, als hätte sie ge‐
    rade einen übermächtigen Feind besiegt. Vielleicht hatte
    sie das auch. Vielleicht hatte sie ihre Angst besiegt. Doch

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