Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
Affäre hatten, hatte Sara nichts über Jeffreys Familie oder seine Vergangenheit erfahren. Sie wusste zwar, dass

    74
    er aus Alabama kam, doch mit Details hielt er sich zurück.
    Wenn sie nicht gerade zusammen im Bett waren, erzählte
    Jeffrey ihr etwas über die Fälle, an denen er in Birmingham gearbeitet hatte, oder über das, was in Grant County passierte. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, fiel ihr auf, dass sie die meiste Zeit redete, wenn sie zusammen waren.
    Selten erzählte er freiwillig etwas Persönliches, und wenn sie zu sehr bohrte, sagte er entweder gar nichts mehr oder
    ließ die Hand über ihren Schenkel gleiten, bis sie vergaß, was sie hatte wissen wollen.
    Sie sah ihn von der Seite an. Sein dunkles Haar war im Nacken etwas länger, was recht verwegen war, wenn man
    bedachte, dass die Schulen in Grant County Jungen regel‐
    mäßig vom Unterricht verbannten, wenn ihr Haar den
    Kragen berührte. Dafür war er wie gewöhnlich frisch ra‐
    siert. Er trug ein Paar alte Jeans und ein schwarzes Harley‐
    Davidson‐T‐Shirt. Seine Turnschuhe sahen nach Hightech
    aus mit extra gefederter Sohle und schwarz geriffeltem
    Sprintprofil. Unter der Jeans zeichneten sich seine Mus‐
    keln ab, und auch wenn das T‐Shirt seinen Waschbrett‐
    bauch verbarg, hatte Sara ein genaues Bild davon im Kopf.
    Sie betrachtete ihre Beine und wünschte, sie hätte
    doch etwas anderes angezogen. Am Ende hatte sie sich für
    einen himmelblauen Wickelrock entschieden, doch ihre
    weißen Waden leuchteten auf der schwarzen Fußmatte
    wie der Fettrand von ungebratenem Speck. Trotz der Kli‐
    maanlage schwitzte sie unter dem T‐Shirt, und wenn sie
    die Zeit hätte anhalten können, hätte sie sich den unbe‐
    quemen BH vom Leib gerissen und ihn aus dem Fenster
    geworfen.
    «Also», sagte Jeffrey.
    «Also», wiederholte Sara und überlegte fieberhaft, wie

    75
    sie das Gespräch wieder in Gang kriegen könnte. Alles, was
    ihr einfiel, war: «Du bist Universalspender.»
    «Was?»
    «Universalspender», wiederholte sie. «Dein Blut passt
    zu jeder Blutgruppe.» Sie klammerte sich an den Stroh‐
    halm. «Aber umgekehrt verträgst du natürlich nicht jede
    Blutgruppe. Bei dir geht nur null negativ.»
    Er sah sie seltsam an. «Ich werde es mir merken.»
    «Du hast Antigene im Blut, die –»
    «Sobald wir zurück sind, gehe ich zum Blutspenden.»
    Wieder geriet das Gespräch ins Stocken, und sie fragte:
    «Möchtest du eine Hähnchenkeule?»
    «Ist das der Duft, den ich in der Nase habe?»
    Sara lehnte sich nach hinten und suchte auf dem Rück‐
    sitz nach der Plastikdose, die ihre Mutter ihr eingepackt hatte. «Ich glaube, es gibt auch Kekse, wenn Tessa sie nicht
    geklaut hat.»
    «Das wäre nett», sagte er und kitzelte sie am Ober‐
    schenkel. «Schade, dass wir keinen Tee haben.»
    Sara versuchte seine Hand zu ignorieren. «Wir könnten
    eine Teepause einlegen.»
    «Vielleicht.»
    Jetzt zwickte er sie, worauf sie ihm auf die Finger
    klopfte. «Hey.»
    Er lachte über die Maßregelung. «Hättest du was dage‐
    gen, wenn wir einen kleinen Umweg machen?»
    «Nein», sagte sie und fand die Dose unter einem Kissen.
    Sie kletterte wieder auf den Sitz zurück, als er gerade ein Wohnmobil überholte. «Wohin denn?»
    «Sylacauga.»
    Beim Öffnen der Plastikbox hielt sie inne. «Silla‐was?»
    «Sylacauga», wiederholte er. «Meine Heimatstadt.»

    76

KAPITEL VIER

    10.15 Uhr

    a‐att?», sagte jemand. Es klang wie ein Stottern.
    «M
    M ‐a‐a‐a‐a‐att?»
    In seinen Ohren hallte es, was das Wort noch mehr in
    die Lange zog.
    «M‐a‐a‐a‐a‐a‐a‐att ?»
    Er versuchte sich zu bewegen, doch seine Muskeln ge‐
    horchten ihm nicht. Aus unerfindlichen Gründen taten
    seine Finger weh. Sie waren kalt. Alles war kalt.
    «Matt», sagte Sara, ihre Stimme war plötzlich stechend
    wie eine Nadel. «Matt, wach auf.» Sie nahm sein Gesicht
    in beide Hände. «Matt.»
    Er zwang sich, die Augen zu öffnen. Er sah erst alles
    verschwommen, dann doppelt. Er sah zwei Saras, die sich
    über ihn beugten. Zwei Marias. Zwei Kinder, die er nie
    zuvor gesehen hatte. Alle waren riesig, wie durch ein Ver-größerungsglas gesehen. Die Deckenfliesen waren noch
    größer, wie fliegende Untertassen mit gigantischen Neon‐
    röhren.
    Er versuchte sich aufzusetzen.
    «Nein, Matt.» Sara hielt ihn zurück. «Nicht.»
    Er fasste sich an den Kopf, der sich anfühlte, als steckte 77
    er in einem Schraubstock. Seine rechte Schulter

Weitere Kostenlose Bücher