Schattenblume
Enkeltochter war auch da drin», sagte Frank. «Sie war die Erste, die Sara gerettet hat.» Er hielt inne, und Lena sah ihm an, wie ihm die Erinnerung zu schaffen machte. «Bur gess versuchte durch die Scheibe zu schießen, aber –»
«Kugelsicher», erinnerte sich Lena.
«Sie hat gehalten», erklärte Frank. «Aber ein Querschläger hat Steve Mann vor dem Heimwerkermarkt ins Bein getroffen. Danach haben sich alle versteckt.»
Nick sagte: «Burgess und die Cops haben die Schützen da drin so ziemlich festgenagelt.» Er zeigte auf den Tresen, hinter dem normalerweise Marla saß. «Soweit wir sehen, steht der zweite Schütze hinter der Theke und bewacht den Eingang, der andere hält die Geiseln in Schach.»
Lena sah wieder auf die Straße. Die Fenster des Reviers waren getönt, jedoch nicht so dunkel wie die der Reinigung. Sie sah die weißen Einschläge und die Spinnennetzrisse, wo das Schrot das Glas nicht durchschlagen hatte. Sie schätzte, die Spritzer an der Innenseite waren Matts Blut. Am Boden lag eine dunkle, formlose Masse. Es war das Gewicht von Matts Leiche, das die Tür blockierte.
Sie zwang sich wegzusehen. «Habt ihr den Wagen der Typen gefunden?»
«Wir suchen noch», erklärte Nick. «Wahrscheinlich haben sie auf dem Campus geparkt und sind zur Wache rübergelaufen.»
«Was bedeuten würde, sie waren schon mal hier», folgerte Lena. An Frank und Pat gewandt, fragte sie: «Habt ihr einen von ihnen erkannt?»
Sie schüttelten beide den Kopf.
Dann sah sich noch einmal die Karte an. «Mein Gott.»
«Der erste hat mindestens drei Waffen. Er hat Matt mit einer abgesägten Schrotflinte umgelegt, wahrscheinlich eine Wingmaster.» Nick schwieg einen Moment. «Der zweite hat das Sturmgewehr.»
«Mit den richtigen Patronen kommt er damit durch das Sicherheitsglas», sagte Lena und dachte, dass die Schützen erstaunliche Kenntnisse über das Polizeirevier haben mussten.
«Richtig», bestätigte Nick. «Er hat aber nicht auf die Straße geschossen.»
«Noch nicht», ergänzte Frank.
«Wir versuchen Kontakt aufzunehmen, aber sie gehen nicht ans Telefon.» Nick zeigte auf einen seiner Leute, der sich ein Telefon ans Ohr hielt. «In der Zwischenzeit warten wir auf das Verhandlungsteam aus Atlanta. Sie müssten in weniger als einer Stunde mit dem Hubschrauber hier sein.»
Lena sah starr nach draußen und fragte sich, wie zum Teufel so etwas möglich war. Heartsdale war ein verschlafenes kleines Nest. Die Menschen zogen hierher, um der Gewalt anderswo zu entkommen. Jeffrey hatte ihr vor langer Zeit erzählt, dass er von Birmingham weggegangen war, weil er die Großstadtkriminalität nicht mehr ertragen hatte. Doch anscheinend war sie ihm gefolgt.
Plötzlich lief es ihr eiskalt über den Rücken. Sie hatte in der Mitte der Karte ein rotes X mit zwei Initialen entdeckt. Alles verschwamm vor Lenas Augen. Sie konnte nicht erkennen, was dort stand. Als sie wieder aufsah, starrten sie alle an. Sie schüttelte den Kopf, verzog den Mund, als handelte es sich um einen schlechten Scherz. «Nein», stammelte sie, als sie schließlich die Initialen entziffern konnte. Jetzt schwebten die Buchstaben klar und deutlich vor ihrenAugen, auch wenn sie gar nicht mehr auf die Karte sah. «Nein.»
Frank drehte ihr den Rücken zu und hustete in sein Taschentuch.
Lena griff nach dem schwarzen Marker. «Das hier ist falsch», sagte sie und riss die Kappe von dem Filzstift ab. «Der hier muss schwarz sein.» Sie versuchte das rote Kreuz zu übermalen, doch ihre Hand zitterte zu stark.
Nick nahm ihr den Stift aus der Hand. «Er ist tot, Lena.» Er legte ihr die Hand auf die Schulter. «Jeffrey ist tot.»
KAPITEL DREI
1991
Sonntag
T essa ließ sich rücklings aufs Bett fallen. «Ich kann es nicht fassen, dass du ohne mich nach Florida fährst!»
Sara antwortete mit einem abwesenden «Hm» und legte ein T-Shirt zusammen.
«Wann hast du das letzte Mal Urlaub gemacht?»
«Weiß nicht», antwortete sie, obwohl sie sich genau erinnerte. Im Sommer nach ihrem Highschool-Abschluss hatte Eddie Linton seine Frau und zwei bockige Töchter ins Auto gepackt und sie zum letzten gemeinsamen Familienurlaub nach Sea World geschleift. Seitdem hatte Sara jeden Sommer mit Kursen oder im Labor verbracht, um Extrascheine zu erwerben, damit sie früher Examen machen konnte. Abgesehen von dem einen oder anderen verlängerten Wochenende zu Hause bei ihren Eltern, war sie seit Ewigkeiten nicht mehr verreist.
«Das hier
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