Schattenbrut (German Edition)
mehr.« Tamys Unterlippe hing herunter, und sie hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen.
»Hast du Lust, dass wir zusammen einen Kaffee trinken?«, fragte Billy spontan.
Tamys Augen leuchteten auf. »Wir können zu mir, wenn du magst.«
Billy warf einen Blick auf die Armbanduhr. Lange würde sie sich nicht aufhalten können, aber sie schuldete Tamy ein wenig Zeit. »Gerne. Aber zuerst will ich mit Katja sprechen.«
»Warum?«
»Weil ich wissen will, ob sie genauso ahnungslos ist wie ihre Mutter. Kommst du mit?«
»Ich weiß nicht.« Sie zog ihre Schultern bis zu den Ohren und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich kann das mit Clarissa noch immer nicht glauben. Glaubt die Polizei ernsthaft, dass ihr Tod etwas mit dem Text zu tun hat?«
»Der Text ist der einzige Hinweis. Für mich ergibt die Sache auch keinen Sinn. Aber ob ein Zusammenhang besteht oder nicht, spielt keine Rolle. Ich will wissen, wer diesen Schrott geschrieben hat.«
»Was soll denn Katja damit zu tun haben? Sie kannte weder dich noch Paula.«
»Ich weiß es nicht. Aber im Moment sieht es danach aus, als ginge es hier um Rache. Und wer sollte daran Interesse haben außer Paula selbst oder jemand aus Franks Familie?«
»Selbst wenn Katja etwas von uns gewusst hätte, den Text kann sie nicht geschrieben haben!«, ereiferte sich Tamy. «Diese Details, die Namen eurer Eltern ...«
Billy neigte ihren Kopf und taxierte Tamy. Sie hatte kein Wort über diese Details verloren. »Woher weißt du das alles?«
Tamys Augen flackerten. Sie rieb ihren Nasenrücken, ließ die Hand sinken und sah Billy an. »Ich habe vor zwei Tagen offenbar denselben Text bekommen.«
16.
Es war nicht schwer, Katjas Haus zu finden. Schon von der Straße aus sah man die eingezäunten Weiden, auf denen Pferde grasten.
Billy pfiff beeindruckt durch die Zähne. Ein mindestens zehn Meter langer Pferdestall aus glänzendem Holz, ein gepflegter Reitplatz, über den ein schlanker Mann auf einem Schimmel trabte, dahinter ein einstöckiges Holzhaus mit karierten Gardinen vor den Fenstern. Billy parkte und öffnete die Tür, während Tamy keine Anstalten machte, sich abzuschnallen. Sie war schließlich mitgefahren, auch wenn Billy sie nicht dazu überredet hatte.
»Was ist los?« Billy lehnte sich wieder zurück.
»Mir ist das alles unheimlich.«
»Was denn?« Sie konnte ihre Gereiztheit nicht verbergen.
»Das mit Clarissa. Ist dir klar, dass Julias Tod vielleicht auch Absicht war?«
Billy stöhnte. Nein, daran hatte sie noch nicht gedacht. Aber Julia wurde von einem LKW von der Straße gedrängt, während Clarissas Mörder nicht einmal versucht hatte, den Tod wie einen Unfall aussehen zu lassen. »Quatsch«, gab sie zurück.
»Denk doch logisch«, beharrte Tamy und klang wie ein winselnder Welpe. »Julia war Bitch 4 und die Erste, die tot war, Clarissa war Bitch 3. Als Nächstes ...« Ihre Unterlippe bebte. Billy führte ihre Hände vor der Brust zusammen und berührte mit den Fingern nachdenklich ihre Nase, als sie an die etwas verdrehte Hierarchie der Betas dachte. Sie selbst war die Erste gewesen, B1, die Gründerin des Clubs und dessen Oberhaupt, ursprünglich war als zweite Clarissa gekommen und dann Julia. Tamy hatten sie quasi als Belohnung vor Clarissa geschoben. Als Belohnung dafür, dass sie mit Paula gebrochen und sich den Betas angeschlossen hatte.
»Das macht doch keinen Sinn«, winkte sie schließlich ab. Wir haben damals einen Fehler gemacht, aber deswegen zwanzig Jahre später abgeschlachtet zu werden?« Sie lachte freudlos.
»Immerhin haben wir ein Leben auf dem Gewissen«, gab Tamy bitter zurück.
»Nein! Wir waren grässlich zu Frank, und jeder von uns würde alles tun, um es ungeschehen machen zu können. Aber wir konnten nicht wissen, dass Frank so schwach ist.« Sie schlug mit der Faust auf ihr Knie. »Niemand konnte das wissen!«
Eine Weile redete keiner der beiden, sondern hing seinen eigenen düsteren Gedanken nach, bis Billy das Schweigen brach.
»Aber jetzt sag du mir mal ehrlich, was du bei Franks Mutter wolltest.«
Tamy starrte hinaus auf die herbstlich gefärbten Bäume, die im milchigen Sonnenlicht schimmerten. »Dasselbe wie du. Ich wollte herausfinden, ob sie etwas weiß.«
»Von uns?«
Tamy nickte. »Als ich vorgestern den Text in meinem Briefkasten fand ...« Sie schluckte. »Erst der Kranz auf Julias Grab und dann das. Ich wollte es verstehen, aber mir fiel niemand ein, der das hätte tun können. Außer Franks
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