Schattenelf - 4 - Feuerzauber
hatte.
»Ich dachte, eigentlich könnte ich herunterkommen und den Tag in Eurer Gesellschaft genießen«, antwortete Pagonel. »Und mit ihm.« Als er geendet hatte, ging er hinüber und streichelte Nestys kräftigen Hals, während das Pony glücklich an einigen Kleeblättern rupfte. Nesty schwenkte seinen Kopf herum und biss ihm in die Hand, nicht, um ihn zu verletzen, sondern lediglich als Warnung.
»Er mag Euch sicher gern«, sagte Brynn mit einem amüsierten Lachen.
»Offenbar zum Anbeißen gern.«
»Vielleicht fühlte er sich durch unsere Freundschaft in seiner Freundschaft zu mir bedroht.«
»Oder aber er mag mich tatsächlich zum Anbeißen gern!«, wiederholte Pagonel und versetzte dem Pony einen Klaps auf den Hals.
»Ich habe heute Morgen mehrere Stunden lang mit dem Orakel meditiert«, fuhr der Mystiker fort.
Brynn wusste, dass er dies nicht nur sagte, damit sie sich wegen ihrer Stellung in der Wolkenfeste besser fühlte.
»Eine gelernte Lektion im Austausch gegen eine erteilte?«, fragte sie.
»Der Tausch hat sich gelohnt.«
»Hat er das wirklich?«, fragte Brynn ernst. »Teilen Eure Ordensbrüder Eure Begeisterung für das, was ich dem Orden geben könnte?«
»Irgendetwas beunruhigt Euch.«
Brynn dachte einen Augenblick über seine Bemerkung nach, ehe sie nickte. »In der Wolkenfeste ist man unerwartete Besucher nicht gewohnt.«
»Seid Ihr das denn?«
»Und, bin ich es?«, folgte sofort ihre Gegenfrage. »Ich bin kein Mitglied Eures Ordens, und doch lasst Ihr mich an dessen Geheimnissen teilhaben. Vielleicht passt das Euren Ordenskollegen nicht, Pagonel.«
»Ich bin Träger der Schärpe aller Farben und daher allein meinem eigenen Gewissen Rechenschaft schuldig«, erklärte er. »Niemand stellt Euer Hiersein in Frage, weder offen, mir gegenüber, noch hinter vorgehaltener Hand. Das stünde auch keinem Jhesta Tu zu.«
»Aber wie passe ich Eurer Meinung nach hierher?«, wollte Brynn wissen. »Haltet Ihr mich für eine Jhesta Tu? Hofft Ihr, dass ich eines Tages ebenfalls diesen Weg einschlagen werde?«
»Ich denke, diesen Weg beschreitet Ihr bereits den größten Teil Eures Lebens«, erklärte der Mystiker. »Ob Ihr nun beschließt, Euch auch offiziell als Jhesta Tu zu bezeichnen, ist unerheblich.«
Brynn wollte etwas erwidern, doch Pagonel schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab und gab Nesty erneut einen Klaps auf den Hals, ehe er sich neben ihr niederließ. »Vor vielen Jahrhunderten, kurz nach der Gründung des Abellikaner-Ordens im Bärenreich, verirrte sich einer ihrer Missionare, die Hände voller Edelsteine, zu uns, um uns die frohe Botschaft seiner Version Gottes zu verkünden. Er wurde, wie Ihr, in der Wolkenfeste aufgenommen und teilte alles mit uns, so wie wir mit ihm. Ich denke, sowohl unser Orden als auch seine Urteilskraft gingen gestärkt aus dieser Verbindung hervor, deshalb wird auch meine Urteilskraft gestärkt werden, wenn ich lerne, die Dinge mit Euren Augen zu sehen. Auf ähnliche Weise, hoffe ich, wird die Erfahrung Eures Aufenthalts hier in der Wolkenfeste auch Euch stärken.«
Brynn musterte den älteren Mann durchdringend, sah ihm fest in die Augen, ohne zu blinzeln. »Wieso wollt Ihr eigentlich, dass ich gestärkt werde? Ist mein Anliegen etwa auch Eures?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte der Mystiker.
»Aber warum dann?«, fragte Brynn. »Warum habt Ihr Euer Leben riskiert, um mich auf dem Schlachtfeld vor den Toren Dharyans zu retten? Und warum habt Ihr mich den weiten Weg bis hierher, in den Süden, gebracht? Hättet Ihr für einen anderen das Gleiche getan? Hättet Ihr einen anderen – vielleicht sogar Ashwarawu selbst – auch bis hierher gebracht und ihm die Geheimnisse Eures Ordens anvertraut?«
»Nein«, erwiderte Pagonel unumwunden.
»Warum dann?«
Der Mystiker holte tief Luft und lehnte sich ein kleines Stück zurück, als Brynn sich ungeduldig zu ihm herüberbeugte. Kurz darauf wandte er den Blick ab.
»Weil ich vieles, was mich bewegt, in Euch wiederfinde«, sagte er einen Moment später und wandte sich wieder zu Brynn um, um ihr verwirrtes Gesicht zu betrachten, dieses wunderhübsche Gesicht, das nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. »Ihr versteht, was die Jhesta Tu ausmacht – das habe ich sofort gesehen. Ich wusste, wir würden beide davon profitieren …« Er geriet ein wenig ins Stocken, und zum ersten Mal erlebte Brynn, dass er um Worte verlegen war.
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen und brachte ihn zum Schweigen.
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