Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
der Schlacht verwundet, hatten diese armen Kerle so gut wie keine Hilfe zu erwarten. Zwar säumten zahlreiche Schaulustige diese Szenerie des Elends, aber niemand wagte es, sich dem Ring der Soldaten aus Jacintha auch nur zu nähern. Ehefrauen bettelten um ihre Männer, Kinder weinten, doch die Posten zeigten sich von all dem völlig ungerührt, marschierten in lässiger Gleichgültigkeit an der äußeren Umgrenzung des Platzes entlang und prügelten jeden ins Glied zurück, der versuchte, sich den Verwundeten zu nähern.
Noch bemerkenswerter waren die Abellikaner-Mönche und Chezru-Schüler, die zwischen den Verwundeten umherliefen und sich gelegentlich zu ihnen hinunterbeugten, um mit ihnen zu sprechen.
Brynn lenkte Nesty, ihr braun-weiß geschecktes Pinto-Pony, ein Stück zur Seite, stieg ab und machte Anstalten, sich in eines dieser Gespräche einzumischen.
»Die Schmerzen werden bestimmt bald nachlassen«, versprach ein Chezru-Schüler soeben einem ausgezehrten und schwer verwundeten Soldaten. »Wir werden deine Frau und deine Kinder zu uns hinter die Mauern holen. Sie werden dir die Hand halten, während Meister Mackaront dir die Wahrheit Chezrus und St. Abelles nahe bringt. Du wirst die Anmut unserer im Gebet vereinten Hände erfahren, mein Freund.«
Der Verwundete wandte in unmissverständlicher Verachtung den Blick ab, worauf der Chezru-Schüler sich aufrichtete, ihn anspuckte und zum Nächsten in der Reihe weiterging.
Oder zumindest Anstalten machte, dies zu tun, denn Brynn stellte sich ihm in den Weg. »Wie lange liegen die Männer hier schon unter freiem Himmel?«
Die Geistlichen sahen sie erstaunt an. Mackaront zeigte ihr ein breites Grinsen. »Wie schön, Euch wiederzusehen«, hob er an, doch Brynn schnitt ihm mit einem ernsten Blick und mit erhobener Hand sofort das Wort ab.
»Wie lange liegen die Männer schon hier draußen«?, wiederholte sie ihre Frage.
»Drei Tage«, antwortete der Chezru-Schüler. »Ursprünglich waren es natürlich noch viel mehr, aber mittlerweile sind einige ihren Verletzungen erlegen.« Seine Miene hellte sich auf. »Die meisten haben aber schließlich doch die Wahrheit erkannt und fühlen sich schon sehr viel besser!«
Brynn musterte den abellikanischen Meister mit strengem Blick. »Ihr droht ihnen mit dem Verlust ihrer Familien oder sogar ihres Lebens?«, fragte sie fassungslos. »Ist das die Art der Abellikaner, das Wort ihres Gottes zu verbreiten?«
»Sie müssen lernen, sich mit der Vorstellung anzufreunden, dass sie all die Jahre von einem finsteren Tyrannen getäuscht worden sind«, erwiderte Mackaront, und Brynn kam es so vor, als hätte er diese Worte auswendig gelernt. »Sie müssen ein Mindestmaß an Reue zeigen, um all die Jahre ihrer Verblendung wettzumachen. Wir Mönche von St. Abelle sind gewöhnlich sehr großzügige und freundliche Menschen, nichtsdestotrotz darf unsere gottgegebene Magie weder bei unseren Feinden noch bei Ketzern angewandt werden.«
Brynns Gesichtszüge verhärteten sich, aber sie widerstand der Versuchung, den Mann anzuschreien. Sie wusste, sie würde nicht weit damit kommen, also kehrte sie ihm den Rücken zu, drehte sich aber noch einmal um, um sich den beklagenswerten Anblick des am Boden liegenden Mannes einzuprägen. Sie beeilte sich, ihre Gefährten einzuholen, und steuerte mit entschlossenen Schritten auf den Palast zu.
Brynn trat als Erste vor Yatol De Hamman. »Wie könnt Ihr das nur zulassen?«, fragte sie sofort.
Ihr Gegenüber setzte eine verwirrte Miene auf, die Brynn ihm nicht einen Augenblick abnahm.
»Ihr zwingt Behreneser, zur abellikanischen Kirche überzutreten«, erklärte Brynn. »Ihr tragt das Gewand eines Yatol-Priesters Chezrus, und doch straft Ihr das Gewand und die Lehren dort draußen vor diesem heiligen Ort Lügen.«
Brynn hörte ein Geräusch und drehte sich um. Sie sah eine Gruppe von Trägern eben jenen Mann auf einer Bahre hereinbringen, den sie eben noch draußen vor dem Palast zu Meister Mackaronts Füßen hatte liegen sehen. Eine Frau und ein junges Mädchen, offensichtlich Ehefrau und Tochter des Soldaten, begleiteten ihn und hielten ihm mit tränenverschmierten Gesichtern die Hände. Mackaront, eine Hand an die Brust gepresst, während die andere auf der zerfetzten Schulter des Mannes ruhte, hatte sich der kleinen Prozession ebenfalls angeschlossen.
»Kennt Eure Entweihung denn überhaupt keine Grenzen?«, fuhr Brynn De Hamman an.
»Entweihung?«, erwiderte der Yatol verständnislos.
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