Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
»Nur, weil wir Douans Verrat endlich erkannt haben? Weil wir unsere Freunde aus dem Norden bei uns aufgenommen haben?«
»Freunde, die immerhin Abellikaner sind«, erinnerte ihn Brynn. »Männer, die an einen anderen Gott glauben, Männer, die noch nie echte Freunde Behrens waren.« Das flüchtige Zusammenzucken, das sie plötzlich bei ihm bemerkte, ließ sie vermuten, dass De Hammans Gefühle vielleicht doch nicht ganz so tief empfunden waren, wie seine Worte nahe legen sollten.
»Ihr solltet Eure Seele vom Hass befreien, Brynn Dharielle«, erklärte De Hamman. »Wir leben in Zeiten der Erleuchtung. In besseren Zeiten.«
»Ihr werft alles fort, was Behren einst so etwas wie eine Seele verliehen hat«, ereiferte sich Brynn, ehe eine Hand auf ihrer Schulter sie ermahnte, ruhig zu bleiben. Sie wandte sich halb um und sah Pagonel neben sich stehen.
»So wie Ihr Euch aus freien Stücken auf die ketzerischen Mystiker der Jhesta Tu eingelassen habt?«, entgegnete Yatol De Hamman.
Brynn zwang sich, ruhig zu bleiben. Natürlich war ihr bewusst, dass der Vergleich hinkte – schließlich erhoben die Jhesta Tu keinerlei Ansprüche innerhalb To-gais –, eine Erkenntnis, die es ihr erlaubte, die Bemerkung als erledigt zu betrachten.
»Wer regiert Behren, Yatol De Hamman?«, fragte sie. »Ist es tatsächlich Yatol Mado Wadon? Oder hat sich womöglich Abt Olin unter dem Deckmantel dieser so genannten ›Erleuchtung‹ in den Vordergrund geschoben?«
Das schien De Hamman erneut einen leichten Stich zu versetzen, doch nach einem kurzen Moment gewann er seine alte Sicherheit zurück. »Ich wäre längst tot«, erwiderte er. »Ohne die Hilfe, die Abt Olin der Stadt Jacintha in der Stunde ihrer Not gewährte, läge ich jetzt tot zwischen den Leichen unzähliger treuer Chezru.«
Brynn schwieg und sah den Mann eindringlich an.
»Aber welcher Himmel würde mich nach meinem Tod erwarten?«, fuhr De Hamman fort. »Der, den Chezru Douan uns versprochen hat? Eben jener Himmel, dem er all die zahllosen Jahrhunderte, in denen er die Seelen neugeborener Kinder raubte, um sein eigenes kümmerliches Dasein für alle Ewigkeit zu erhalten, selbst nicht entgegenzutreten wagte?«
Brynn ließ sich einen Augenblick Zeit, um diese bedrückende Bemerkung auf sich einwirken zu lassen und darüber nachzudenken, wie ernst sie tatsächlich gemeint war. Yakim Douans Verrat war so entsetzlich gewesen, dass Behren darüber innerlich zerrissen und die Chezru-Religion in ihren Grundfesten erschüttert worden war. De Hamman stand in der Geistlichkeit der Chezru mit seiner Meinung offensichtlich nicht allein, und die Belastungen des Krieges mit all seinem Leid mochten ein Übriges getan haben, die in ihren alten Traditionen weniger Bewanderten zu einem Wechsel ihrer Religion zu veranlassen. Diesen Gedanken im Hinterkopf, sah sich Brynn nach dem Vorhang um, hinter dem Mackaront und die anderen verschwunden waren. Ihr fiel auf, dass keine gequälten Schreie mehr dahinter hervordrangen.
»Ist das nun Freundschaft?«, fragte sie De Hamman. »Oder doch eher eine Eroberung?«
Seine Antwort traf sie wie ein Stich ins Herz. Es war eine deutliche Warnung, dass dem Königreich im Osten schlimme Zeiten bevorstehen könnten. »Spielt das eine Rolle?«
8. Gefangen
»Endlich haben wir einen König, der begreift, dass die magischen Steine, dieses Geschenk Gottes, allein die Sache jener Priester sind, die diesen Gott repräsentieren«, verkündete Marcalo De’Unnero eines Morgens in St. Precious vor einer aufmerksamen Zuhörerschaft. »Nun können wir uns, mit König Aydrians Segen, endlich an die Aufgabe machen, die Edelsteine in den Schoß der abellikanischen Kirche zurückzuführen.«
Die Ankündigung wurde mit zustimmendem Nicken und sogar einigen Beifallsbekundungen aufgenommen – obwohl die anwesenden Ordensbrüder natürlich ganz genau wussten, dass Marcalo De’Unnero und die Mönche, die er von St. Honce in Ursal mitgebracht hatte, auf ihrem Marsch entlang des Masur Delaval längst damit begonnen hatten.
Ein älterer Ordensbruder, ein Meister aus St. Precious, der bereits seit vielen Jahren in Palmaris weilte, schien ihre Begeisterung nicht recht zu teilen. Weder den Männern in seiner unmittelbaren Umgebung noch De’Unnero selbst war sein Gesichtsausdruck entgangen, als er den Blick über seine Ordensbrüder schweifen ließ.
»Meister DeNauer?«, forderte De’Unnero ihn auf, sich zu erklären.
Der ältere Mann – älter als De’Unnero und
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