Schattenengel (Contoli-Heinzgen-Krimi)
einem Wohlwollenden oder Schuldzuweisenden. Anke gab noch nicht auf.
„Die Polizei hat durchsickern lassen, dass für sie Laura Koll keine Unbekannte sei. « Wieso hab ich bloß bei denen nicht weiter nachgefragt? „Ich mache mir schwere Vorwürfe. Es würde mich beruhigen, wenn ich wüsste, dass generell mit Laura Kolls Psyche etwas nicht stimmt und ich nicht allein schuld bin an dem Unfall.«
Die Schwester begann langsam weiterzugehen und Anke hielt sich hoffnungsvoll an ihrer Seite. Nach einigen Metern blieb Melanie erneut stehen.
„ Es ist nicht ihr erster Versuch. Das zu Ihrer Information«, meinte sie schließlich.
„ Der Wievielte?«
In den Augen der Krankenschwester blitzte etwas Verdutztes auf. Anke wusste sofort, dass sie diese professionell klingende Frage nicht hätte stellen dürfen, und wollte anfangen, sich erneut zu ärgern, als die Schwester antwortete:
„Der Vierte, den ich mit erlebe. Mehr möchte ich nicht dazu sagen«, und sie eilte davon. „Danke!«, rief Anke ihr nach. Das reicht mir schon.
Bereits einige Meter vor der Zimmertür hörte Anke, dass Lauras Weinen in ein Kreischen übergegangen war, und öffnete rasch die Tür, als sie unvermittelt Schritte hinter sich hörte. Während sie das Krankenzimmer betrat, drehte sich Anke um. Ein Arzt im wehenden weißen Kittel mit einer Schwester im Schlepptau kam um die Ecke geschnellt und folgte ihr ins Zimmer. Nach wenigen Sekunden befand sich Anke erneut auf dem Korridor. Knapp zehn Minuten später kamen Arzt und Schwester heraus. Der Mediziner eilte an ihr vorbei, ohne auch nur kurz die Augen nach ihr zu drehen. Die Schwester jedoch wandte sich Anke zu und verlangte freundlich, den Besuch jetzt abzubrechen, da die Patientin Ruhe brauche.
„Ja, selbstverständlich«, reagierte Anke. Sie schritt in die entgegengesetzte Richtung davon, während ihr Gehirn arbeitete. Kaum war die Schwester außer Sichtweite, schlich sie zurück, trat ohne anzuklopfen ein und ging direkt zu Laura ans Bett. Sie öffnete die Augen, lag aber ansonsten regungslos. Was sie ihr wohl gespritzt haben?
„ Geht es besser?«, fragte Anke im Flüsterton.
„ Haben Sie sich mit meinem Bruder getroffen?«, flüsterte Laura zurück.
Anke nickte.
Nach normalem Empfinden schien in Lauras leblosem Gesicht keine Reaktion mehr wahrnehmbar zu sein, dennoch hatte Anke den Eindruck, dass nach ihrer Antwort ein Anflug von Resignation darin sichtbar wurde. Etwas in der Weise, wie Laura den Kopf zur Seite rollen ließ oder wie sie atmete oder wie sie die Lider schloss.
„ Leben Ihre Eltern noch, Laura? Kann ich sie eventuell benachrichtigen?«, heuchelte Anke, denn der aufgebundene Bär fuchste sie noch immer.
„ Sie sind tot, Unfall, schon lange«, hauchte Laura, ohne die Augen zu öffnen.
„ Und Sie haben auch keine Pflegemutter?«
Nach dieser Erkundigung öffnete Laura die Augen.
„ Wieso fragen Sie das alles?«, wollte sie mit kräftigerer und sogleich nachlassender Stimme wissen.
Ich hätte nicht wieder herkommen und sie aus lauter Wissbegier belästigen sollen, zumal ich ja sowieso unerwünscht bin. „Leben Sie wohl, Laura, alles Gute für Sie.« Ich distanziere mich nun doch.
Entschlossen, sich hier niemals mehr blicken zu lassen, schritt Anke zur Tür. Hinter sich hörte sie Laura atmen, so, als wolle sie noch etwas sagen. Anke verlangsamte ihre Gangart, blieb an der Tür unschlüssig stehen, hielt aber Laura weiterhin den Rücken zugewandt. Wartete, die Hand bereits an der Klinke. Schließlich warf sie einen Blick über die Schulter. Sollte sie weiterhin ihre Zeit vergeuden? Laura saß halb aufrecht und schien ihr nachgesehen zu haben. Den Mund leicht geöffnet. Immer noch glaubte Anke, gleich daraus etwas zu hören, doch Laura blieb stumm. Folglich hob Anke die Hand zum Abschied, um endgültig zu gehen, als Laura kaum hörbar verlauten ließ.
„ Der Adler umkreist Sie schon, Anke.«
Was sollte das jetzt wieder? Nachdenklich marschierte Anke den Flur entlang. Der Desinfektionsgeruch stieg ihr in die Nase. Das trieb sie an, ihr Schritttempo zu erhöhen.
Was wollte Laura ihr andeuten oder ihr durch die Blume mitteilen? In der Antike war ein Adler der Vogel des griechischen Gottes Zeus und ein Symbol für Macht und Sieg. Macht und Sieg, Macht und Sieg? Da sie selbst keinesfalls auf dem Weg zu Macht und Sieg war, konnte sie es lediglich so deuten, möglicherweise von einer sie umkreisenden Macht besiegt zu werden? „Alles Blödsinn«, murmelte
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