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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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waren die Fanim Pilgern gegenüber ja erstaunlich duldsam. Doch sollten die Inrithi tatsächlich einen Heiligen Krieg gegen Kian vorbereiten, wäre diese Route verheerend – vor allem für Kellhus mit seinem blonden Haar und seiner bleichen Haut…
    Nein. Er musste erst mehr über diesen Heiligen Krieg erfahren, bevor er den direkten Weg nach Süden einschlagen konnte, und je näher sie dem Kaiserreich kamen, desto wahrscheinlicher wurde es, zufällig auf Informationen zu stoßen. Wenn die Inrithi keinen Heiligen Krieg gegen die Fanim führten, konnten Cnaiür und Kellhus das Kaiserreich umgehen und würden das Land der Fanim wohl unversehrt erreichen. Wenn die Inrithi dagegen einen solchen Krieg führten, wären der Häuptling und der Dûnyain vermutlich gezwungen, Nansur zu durchqueren – und das war eine Aussicht, vor der Cnaiür graute.
    »Die Fanim sind kriegerische Leute«, antwortete er schließlich und nutzte den Regen als lahmen Vorwand dafür, seinen Begleiter nicht anzusehen. »Aber Pilgern gegenüber sollen sie duldsam sein.«
    Er achtete darauf, Kellhus nun einige Zeit weder anzuschauen noch mit ihm zu sprechen, obwohl etwas in ihm damit nicht einverstanden war. Je länger er den Augenkontakt mit dem Dûnyain vermied, desto gefährlicher schien er zu werden. Und desto gottähnlicher.
    Was siehst du?
    Cnaiür verjagte Erinnerungen an Bannut, die sich plötzlich einstellten.
    Das schlechte Wetter hielt noch einen Tag an, ehe der Regen in ein Nieseln überging, das die weit entfernten Hügelrücken in Dunst hüllte. Ein weiterer Tag zog ins Land, bevor ihre Woll- und Ledersachen zu trocknen begannen.
    Bald darauf ergriff der Gedanke, den Dûnyain im Schlaf zu töten, von Cnaiür Besitz. Sie hatten über Hexerei geredet, das mit Abstand häufigste Thema ihrer seltenen Unterhaltungen. Kellhus kam immer wieder darauf zu sprechen und erzählte Cnaiür sogar von einer Niederlage, die ihm ein zauberkundiger Krieger der Nichtmenschen hoch im Norden beigebracht habe. Erst hatte Cnaiür geglaubt, diese ständige Sorge deute darauf hin, Hexerei sei das Einzige, was dem Dûnyain ernstliche Probleme bereite. Doch dann kam ihm in den Sinn, Kellhus wisse wohl einfach, dass er Gespräche über Hexerei für harmlos hielt, und bediene sich dieses Themas nur, um das Schweigen zwischen ihnen zu brechen und die Unterhaltung so auf nützlichere Gegenstände zu lenken. Sogar die Geschichte von dem Nichtmenschen, begriff er, war vermutlich wieder eine Lüge – ein falsches Geständnis, das ihn dazu bringen sollte, seinerseits unkontrolliert zu plaudern.
    Nachdem er diese neue Heimtücke durchschaut hatte, dachte er plötzlich: Wenn er eingeschlafen ist… Heute Abend, wenn er eingeschlafen ist, bringe ich ihn um.
    Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los, obwohl ihm klar war, dass er den Dûnyain nicht töten konnte: Er wusste ja nur, dass Moënghus Kellhus nach Shimeh gerufen hatte, und es würde kaum möglich sein, den Vater ohne den Sohn zu finden.
    Trotzdem schlüpfte er in der Nacht aus seinen Decken und kroch mit dem Breitschwert über den kalten Boden. Neben der Glut des Lagerfeuers hielt er an, betrachtete die reglose Gestalt des Dûnyain und hörte ihn gleichmäßig atmen. Bei Nacht war sein Gesicht so ruhig und gelassen wie am Tag. Ob er wach war?
    Was für ein Mensch bist du?
    Wie ein gelangweiltes Kind strich Cnaiür mit dem Schwert über die vom Mond beschienenen Gräser ringsum und beobachtete, wie die Halme sich unter der Schneide bogen und wieder in die Höhe schnellten.
    Zwei Szenarien schossen ihm durch den Kopf: erst, dass Kellhus ihn nur durch das Heben seiner bloßen Hände dazu brachte, von dem tödlichen Streich abzulassen; dann, dass seine eigenen Hände den Dienst verweigerten, während Kellhus die Augen aufschlug und eine Stimme wie von fern her sagte: »Ich kenne dich, Scylvendi … besser als jede Geliebte – und besser als jeder Gott.«
    Cnaiür kauerte sich nieder und beugte sich nur recht kurz über den Dûnyain, hatte aber den Eindruck, ihn lange zu betrachten. Dann sprangen ihn Selbstzweifel und ohnmächtige Wut an, und er kroch unter seine Decken zurück und lag noch lange zitternd da, obwohl ihn nicht fror.
    Im Laufe der nächsten zwei Wochen trat an die Stelle des Hochlands im Zentrum der Steppe Jiünati allmählich ein Durcheinander zerklüfteter Hänge. Der Boden wurde lehmig, und die Gräser wuchsen nun so hoch, dass sie den Pferden bis weit hinauf an die Flanken reichten. Kaum ein paar

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