Schattenfall
dass Ihr das Tal plündern lasst?«
»Weit mehr als nur das Tal… Wenn du vorhast, mich meiner Taktik wegen zu rügen, dann überleg dir das besser noch mal.«
»Was wissen Hexenmeister schon von Taktik, mein Prinz?«
»Viel zu viel, wenn du mich fragst. Aber inzwischen hält sich schon jeder Dorftrottel für eine Kapazität in Sachen Taktik, stimmt’s, Marschall?«
Xinemus warf Achamian kurz einen entschuldigenden Blick zu. »Eure Taktik ist ohne Fehl und Tadel, Proyas. Es sind die Regeln des Anstands, die mir Sorgen machen.«
»Und was sollen wir deiner Meinung nach essen? Unsere Gebetsmatten?«
»Der Kaiser hat seine Kornspeicher erst geschlossen, als Ihr und die anderen Hohen Herren mit dem Plündern begonnen habt.«
»Nachdem er uns monatelang unverschämt kurzgehalten hat, Xin! Er hat uns gerade genug gegeben, um einen Aufruhr zu verhindern und alles unter Kontrolle zu haben – nicht ein Korn mehr!«
»Trotzdem – Inrithi auszuplündern…«
Proyas machte ein finsteres Gesicht und winkte ab. »Schluss jetzt! Du siehst es so, ich sehe es anders, und wir müssen uns nicht ständig wiederholen. Dann höre ich mir schon lieber an, was Achamian zu sagen hat! Da staunst du, was, Xin? So sehr hast du mich geärgert…«
Aus dem ernsten Blick des Marschalls schloss Achamian, dass Proyas keinen Scherz gemacht hatte.
Wie verändert er ist… Was mag mit ihm passiert sein? Doch schon als er sich das fragte, war ihm die Antwort klar. Wie alle Menschen mit edlen Absichten litt auch Proyas darunter, hehre Prinzipien immer wieder um praktischer Vorteile willen aufgeben zu müssen. Kein Triumph war ohne Reue zu haben. Wer einmal Milde walten ließ, war gleich von Bittstellern umlagert. Ständig musste man kleinliche Kompromisse eingehen, bis einem das ganze Leben als Niederlage erschien. Dieses Leiden kannten die Mandati nur zu gut.
»Achamian…«, sagte Proyas, als der Hexenmeister nicht sofort antwortete. »Ich muss ein riesiges Heer von Landfremden verpflegen, Scharen von Banditen unter Kontrolle halten und einen Kaiser überlisten. Schenken wir uns also die Feinheiten des Jnan. Sag mir einfach, was du willst.«
In der Miene des Prinzen lagen gespannte Erwartung und gereizte Abwehr im Streit. Achamian vermutete, dass Proyas seinen alten Lehrer zwar sehen wollte, sich genau dies aber nicht zugestand. Das ist ein Fehler.
Unwillkürlich atmete er tief ein. »Ich frage mich, ob mein Prinz sich noch an das erinnert, was ich ihn vor vielen Jahren gelehrt habe.«
»Solche Erinnerungen sind, fürchte ich, der einzige Grund, warum du überhaupt mit mir reden darfst.«
Achamian nickte. »Erinnert Ihr Euch noch, was es bedeutet, in Möglichkeiten zu denken?«
Wieder machte sich in der Miene des Prinzen Ungeduld breit. »Du meinst das Denken im Modus des ›Als ob‹?«
»Ja, mein Prinz.«
»Als Kind haben mich deine Spiele ermüdet, Achamian. Und als Erwachsener habe ich einfach keine Zeit mehr dafür.«
»Das ist kein Spiel.«
»Nein? Warum bist du dann ausgerechnet hier, Achamian? Was haben die Mandati mit dem Heiligen Krieg zu schaffen?«
Das war allerdings die Frage. Wer mit dem Ungreifbaren ringt, darf sich über eine Fülle von Komplikationen nicht wundern. Jede Mission ohne klares Ziel oder mit einem Ziel, das sich längst ins Abstrakte verflüchtigt hat, verwechselt irgendwann den Zweck und die Mittel, begreift also das eigene Streben als per se erstrebenswert. Achamian war klar, dass er hier war, um zu ermitteln, ob es für die Mandati überhaupt sinnvoll war, hier zu sein. Und die Klärung dieser Frage war so wichtig wie jede andere Mission der Mandati, weil ja jede Mission nur mehr der Klärung dieser einen Frage galt. Aber das konnte er Proyas unmöglich sagen. Nein, er musste tun, was jeder Kundschafter der Mandati tat: das Unbekannte mit alten Gefahren bevölkern und vergangene Katastrophen in die Zukunft projizieren. In einer ohnehin entsetzlichen Welt waren die Mandati ein Orden geworden, der Angstgefühle verhökerte.
»Was wir damit zu schaffen haben? Wir wollen die Wahrheit herausfinden.«
»Also willst du mir keinen Vortrag über Möglichkeiten, sondern über die Wahrheit halten… Ich fürchte, diese Zeiten sind vorbei, Drusas Achamian.«
Früher hast du mich Akka genannt.
»Keine Sorge – meine Jahre als Lehrer sind lange vorbei. Das Beste, was ich heutzutage noch fertigbringe, ist anscheinend, Leute daran zu erinnern, was sie mal gewusst haben.«
»Vieles, was ich früher zu
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