Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
ihn klugerweise wieder, wie Balthasar fand. »Haben Sie die Burlesken besucht, Dr. Hearne?«
Balthasar erinnerte sich an einen der frühen Vorträge in seiner Ausbildung über die Unterschiede der männlichen und weiblichen Anatomie. Schon damals hatte er die beachtliche Leistung des Dozenten erkannt, der es verstanden hatte, sechzig junge Männer mit den intimen Details des weiblichen Körpers zu langweilen. Er beschloss, diese Leistung nicht zu wiederholen, obwohl er versuchte, dessen Ton nachzuahmen. »Ich bezweifle, dass Ihnen das Theater ein besseres Material für Ihre Verkleidungen geliefert hätte als Ihre Abenteuergeschichten … Ich entnehme Ihren Worten, dass Ishmael Sie als junge Damen erkannt hat.«
»Sofort und bei unserer ersten Begegnung«, antwortete Lavender. »Obwohl er uns erst später beiseitenahm, nachdem er sich ein Urteil über unsere Fähigkeiten gebildet hatte. Dann hat er uns beiden eine ordentliche Standpauke gehalten und uns mit einer Eskorte direkt nach Hause geschickt. Wir waren zu schockiert, um auch nur weinen zu können.«
»Er hat uns weder angeschrien noch beleidigt«, erklärte Laurel, »aber er hat uns unmissverständlich klargemacht, wie wenig wir auf die Art von Kampf vorbereitet waren, die er erwartete, und dass wir unser Leben und das Leben der Männer, die uns begleiteten, aufs Spiel gesetzt hatten.«
»Wir blieben danach wochenlang in Ungnade«, berichtete Lavender weiter. »Zugegeben, es hatte auch seine guten Seiten, denn Prinzessin Calliope verlor gründlich ihr Interesse an uns als potenziellen Schwiegertöchtern. Und«, sie bettete das Kinn auf ihrer sehnigen Hand und warf Ishmael einen neckenden Peilruf zu, »sobald wir uns von dem Schock erholt hatten, verliebten wir uns in ihn . Vergessen Sie nicht, wir waren sechzehn.«
Ishmael suchte Ablenkung auf seinem Teller. Ferdenzil Mycenes Gesichtsausdruck lag irgendwo zwischen Faszination und Entsetzen. Balthasar konnte dies nachvollziehen, auch wenn er sich als fortschrittlichen Mann verstand. Alles an den Zwillingen war empörend – von ihrem Gebaren, einen so viel älteren Mann beim Vornamen zu nennen, über ihre unbefangene Erörterung von Dingen, die die städtische Gesellschaft als quälend unschicklich empfunden hätte, bis hin zu ihrer Bereitschaft, mit Grenzsoldaten auszurücken. Dennoch konnte er nur hoffen, dass er in fünfzehn Jahren mit seinen eigenen erwachsenen Töchtern eine derart gemütliche und zwanglose Mahlzeit würde teilen können.
»Wir haben den ganzen Winter, Frühling und den halben Sommer mit dem Versuch verbracht, die Mängel wettzumachen, auf die uns Ishmael so unbarmherzig hingewiesen hatte. Und dann fuhren wir mit einer Eskorte und in aller Schicklichkeit mit dem Zug nach Strumheller, um zu beweisen, dass wir zum Soldatentum taugten.«
»Er hat eingeräumt, dass sich unsere Fähigkeiten verbessert hatten«, griff Laurel den Faden von ihrer Schwester auf. »Und Wunder über Wunder, er konnte Vater die Zustimmung abringen, dass wir in der Nähe der Grenzlande Besucher und dergleichen eskortieren durften.«
»Es überrascht mich«, sagte Ferdenzil, wobei sein Tonfall eine stärkere Regung vermuten ließ, »dass Ihr Vater das gestattet hat.«
Es folgte ein kurzes verunsichertes Schweigen. Vielleicht waren es die Damen nicht gewohnt, städtische Vorurteile an ihrem eigenen Tisch zu hören. Stranhorne murmelte nur: »Bisweilen überrascht es mich selbst.«
»Seine Zustimmung hängt mit den Glasen zusammen«, warf Ishmael ein, »einer der gefährlichsten Arten der Schattengeborenen. Die meisten haben ungefähr die Größe eines massigen Hundes, aber sie können einen Mann so verhexen, dass er sich bei lebendigem Leibe fressen lässt. Wir wissen nicht, warum, aber sie greifen nur Männer an. Eine Frau mit einer ruhigen Hand und starken Nerven kann ein Dutzend Leben retten, wenn nicht sogar mehr.«
Diesmal war das Schweigen von anderer Beschaffenheit. Balthasar erinnerte sich daran, wie Ishmaels Anwalt ihm erzählt hatte, dass die Narben auf Ishmaels Gesicht – Narben, wie kein Magier gleich welcher Macht sie tragen sollte – von einem Glasen stammten. Falls diese jungen Damen ihn so gut kannten, wie es schien, kannten sie diese Geschichte vielleicht.
Ishmael selbst brach das Schweigen. »Obwohl ich sie nicht als Soldaten wollte.«
»In der Tat, nein«, lachte Lavender und wedelte mit der Hand, um ihn aufzufordern, seine Worte näher zu erläutern.
»Die beiden sind Baronessen, zu
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