Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
Er besaß eine beunruhigende Ähnlichkeit mit Balthasar Hearne, wenn sie auch nicht vollkommen war. Er stand mit geballten Fäusten da, und seine Arme vibrierten beinahe von blockierter Energie – seine starke Magie war noch nicht gänzlich zutage getreten.
»Warum hast du das getan?«, rief er an Ishmael vorbei. »Das ist der Schattenjäger.«
»Ich habe ein Interesse daran, ihn am Leben zu erhalten«, sagte Neill, der ein Stück näher gerückt war.
Ohne den Kopf zu wenden, nahm Ishmael den überhitzten Revolver in die linke Hand, zog den anderen mit der rechten und richtete ihn dorthin, wo das Geräusch ihm sagte, dass die Brust des Mannes sein würde. »Ich habe nicht das gleiche Interesse«, warnte er.
Die Frau sagte: »Sebastien, komm hier herein.«
Ishmaels Sonar fing auf, wie der Junge sich vorwärtsbewegte. Seine Bewegungen waren ruckartig, und er kämpfte offenkundig gegen jeden Schritt an. Die Magie der Frau war geschickt, glatt und von den dreien am stärksten ausgereift. Ishmael hegte keinen Zweifel, dass sie eine Verhexung hätte weben können, die den Jungen dazu gebracht hätte, eifrig zu ihr hinüberzulaufen, anstatt solch einen holprigen Mummenschanz zu veranstalten. Als der Junge näher kam, rollte Ishmael seine Schulter gegen den Türsturz ab, um weder in seine Reichweite zu kommen noch die Mündung seiner Pistole von Neills Brust abzuwenden. Obwohl es sich angesichts der Macht um ihn herum nicht leugnen ließ, dass der Revolver und selbst Ishmaels Gegenwart kaum mehr als eine Geste waren. So sehr er sich auch wünschte, auf die Geräusche um sich herum zu lauschen und zu erfahren, wie das Sammeln für den Rückzug vorankam, konzentrierte er sich auf das Hier und Jetzt. Er wusste nicht, wie viel diese drei ohne Berührung von seinen Gedanken zu lesen vermochten. Er vertraute darauf, dass die Stranhornes bei der Evakuierung keine Zeit verschwenden würden, und er musste ihnen seinerseits so viel Zeit wie möglich verschaffen.
Er wünschte, sicher sein zu können, dass Neill es so eilig hatte, wie es schien. War er wie sein Landsmann oder Verwandter, der Tercelle Amberley verführt hatte, sowohl gegen Mond- als auch Tageslicht immun?
Der Junge wehrte sich immer noch und kam schlitternd vor der Frau zu stehen. Bedächtig hob sie eine Hand, die sie in die sehnigen, vernarbten Knöchel eines preisgekrönten Kämpfers verwandelt hatte, und schlug dem Jungen hart ins Gesicht, sodass er der Länge nach über eine Chaiselongue fiel und dabei halb fertig genähte Babykleider auf den Teppich verstreute. Neill, der nicht eingegriffen hatte, sagte jetzt: »Midora, es reicht!«
»Es reicht nicht «, widersprach sie. »Er hat Jonquil getötet.«
Der Junge riss sich aus seiner Benommenheit, setzte eine anklagende Miene auf, streckte einen Arm in Ishmaels Richtung aus, und sein Finger endete in einem zitternden Pfeil. »Er hat Jonquil getötet! Ich war nicht mal dabei.«
Wahrscheinlich war es müßig zu versuchen, von Telmaine abzulenken, aber es war ihm bereits zu einer festen Angewohnheit geworden. »Ich habe ihm Kugeln in Herz, Eingeweide und Gehirn gejagt«, bestätigte Ishmael.
Eine Geste von Neill, verstärkt durch einen Strom seiner Magie, lenkte ihre ab und rettete Ishmael das Leben, wenn sie ihn auch nicht davor bewahrte, dass sich ihm der Magen umdrehte. Er wollte verflucht sein, wenn er sich vor ihren Füßen erbrach, aber es fehlte nicht mehr viel dazu. »Jonquil muss unvorsichtig geworden sein«, bemerkte Neill. »Sie mögen gut mit diesen Dingern umgehen können«, er machte eine lässige Bewegung in Richtung des Revolvers, »aber davon abgesehen sind Sie ihm nicht gewachsen.«
»Wo warst du«, fragte die Frau den Jungen, »als er ihn erschossen hat?«
»Und was noch wichtiger ist«, warf Neill ein, »warum bist du hier?«
Der Junge saß auf dem Boden, hatte die Knie an die Brust gezogen, seine Arme darum geschlungen und wiegte sich leicht vor und zurück, während er sein zerschundenes Gesicht in den Händen vergraben hielt. »Ich war in Minhorne, Jonquil ins Sommerhaus gefahren. Er wollte Vladimer aufwecken und … und ihn dann töten.« Dieses Zögern ließ auf nichts Gutes schließen. »Ich habe gespürt, wie Jonquil starb. Ich bin zum Bahnhof gefahren und habe gewartet, dass Vladimer zurückkommt. So lautete doch der Befehl, nicht wahr? Töte Vladimer! Töte Vladimer! Töte Isidore! Töte ihn! « Er deutete auf Ishmael, doch der registrierte seinen eigenen Namen im Kreis der
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