Schattengefährte
widersprach und sie dennoch ganz und gar ausfüllte. Fandur! Er war ihr gefolgt, er war hier auf der Burg! Der Gedanke, dass er unten im Hof stand und gleich die Stiege hinaufsteigen könnte, machte sie schwindelig. Fandur, ihr sanfter, zärtlicher Gefährte. Fandur, der Betrüger. Fandur, der sie vor der Morrigan beschützt hatte. Fandur, der listige Rabe …
Sie hatte ebenfalls eines der Fenster geöffnet, um hinunter in den Hof zu schauen, doch dort waren Gesinde und Kämpfer zusammengelaufen, und sie konnte den Gast in der wimmelnden Menge nicht entdecken. Wieso war nirgendwo ein Pferd zu sehen? Hatte man sein Ross schon in den Stall geführt?
Hinter ihr wurde die Pforte des königlichen Gemachs aufgestoßen, und sie hörte Nessas aufgeregte Stimme.
»Du hast dich umsonst gefreut, Bruder. Er ist wieder da und wird sein Hürchen zurückfordern. Hättest du auf mich gehört, dann wäre dir diese Schmach erspart geblieben – aber du wolltest ja unbedingt ein Feenkind auf deinem Ehelager haben …«
»Still!«, fiel Nemed ihr zornig ins Wort. »Willst du, dass sie mithört?«
Alina hatte sich umgewendet und begegnete Nessas stechendem Blick. Die Königin war immer noch festlich angetan, doch ihr Gesicht war vor Aufregung rot angelaufen und schien aus dem engen Gebinde der Haube herausquellen zu wollen.
»Wir wissen, was wir voneinander zu halten haben«, sagte Nessa mit kaltem Hass.
»Da hast du Recht«, gab Alina zornig zurück. »Nur ahnte ich bis heute nicht, dass du eine Giftmischerin bist!«
Nessa lachte höhnisch auf, dennoch schien der Vorwurf sie zu beeindrucken, denn ihr Gelächter klang künstlich, und ihre Augen flackerten.
Zwei adelige Ritter waren an der Pforte erschienen, es waren Graubärte, die die vergangenen Kämpfe mit viel Glück überlebt hatten.
»Der Rabenkrieger fordert, zum König geführt zu werden.«
»Worauf wartet ihr?«, gab Nessa zurück. »Bringt ihn herauf.«
Ihr Bruder schwieg. Vermutlich hätte Nemed den Rabenkrieger liebend gern aus der Burg gewiesen, doch er fürchtete sich vor ihm und wagte nicht, Nessas Anordnung zu widersprechen.
»Es ist nur …«, begann der eine Graubart zögernd.
»Was ist? Rede!«
»Der Rabenkrieger ist seltsam. Ohne Wehr und Waffen kam er in die Burg. Zu Fuß. Und niemand begleitet ihn …«
Alina sah, wie Nemed bei dieser Nachricht die Augenbrauen hob, als habe er etwas erfahren, das seine düstere Lage erhellte.
»Er wird seinen Dolch im Gewand verborgen haben«, knurrte er. »Und den Raben nach zu urteilen, die dort oben auf dem Tor hocken, ist er auch nicht allein gekommen.«
»Gewiss, Herr.«
Ohne dass Nemed und Nessa es verhindern konnten, drängten jetzt die adeligen Damen und etliche der Ritter neugierig in das königliche Gemach. Man hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, festliche Kleidung anzulegen, einige der Damen waren ungekämmt und ohne Haube, ein Ritter trug nur einen einzigen Beinling, ein anderer war gar im Hemd und hatte nur rasch einen Mantel übergeworfen. Die wenigen Sitze auf den Truhen und Wandbänken waren bald besetzt, eine ältere Adelige keifte verärgert und forderte, dass man ihr Platz mache, einer der jungen Kämpfer, der versucht hatte, sich ebenfalls ins Gemach zu schieben, wurde von Nemed beiseitegenommen und dann hinausgeschickt. Viele erschraken beim Anblick ihres Königs, den sie tagelang nicht gesehen hatten. Angus hatte sich oft vor dem ganzen Hof zurückgezogen, doch stets war er nach einigen Tagen gesund und neu gestärkt aus seinen Gemächern hervorgekommen. Dieses Mal jedoch schienen die bösen Gerüchte, die in der Burg umgingen, der Wahrheit zu entsprechen.
»Habt ihr gesehen – unser König ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Es geht dem Ende zu.«
»Wenn der Rabenkrieger uns jetzt noch die Königstochter entführt, sind wir verloren. Nur sie kann uns vor den Drachen schützen.«
»Nemed darf sie ihm nicht geben. Alina ist unsere einzige Hoffnung.«
»Er ist ein Rabenkrieger und wird sich nehmen, was er haben will. Glaubst du etwa, Nemed kann etwas gegen ihn ausrichten? Das konnte nicht einmal Angus, als er noch gesund und stark war.«
Alina war eilig zu ihrem Vater gelaufen, doch Nemed folgte ihr und stellte sich dicht neben sie, als wolle er sie bewachen. Es war offensichtlich, dass er trotz seiner Angst vor dem mächtigen Rabenkrieger nicht so einfach bereit war, auf seine Braut zu verzichten.
Alina achtete kaum auf ihn, ihr Blick war auf die Pforte gerichtet, wo zwei
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