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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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den Becher zurück, behauptete, vollkommen satt zu sein, und lief davon.
    Im Treppenaufgang musste sie sich an den Mägden der Königin vorbeischieben, die Körbe mit Hemden, Decken und Gewändern in den Hof trugen. Man hatte das Regenwasser in Fässern und Bottichen aufgefangen und wollte es nun dazu nutzen, die königlichen Gewänder zu waschen. Mitten zwischen den schwatzenden Wäscherinnen entdeckte sie Baldin, der langsamen Schrittes die Treppe hinunterstieg, ein häufig angestoßenes Hindernis für die eifrigen Frauen. Auf Baldins Stirn prangte eine rötliche Schwellung, und als er seine junge Herrin erblickte, lächelte er ihr zu, als trüge er ein Ehrenmal.
    »Euer Lehrer bittet Euch, unverzüglich zu ihm zu kommen«, richtete er seine Botschaft aus, dann drehte er sich zufrieden um und machte sich in Richtung Burgküche davon.
    Ogyns Unterricht hatte heute etwas von dem Rattern eines Wagens, der von eiligen Rossen auf holprigem Weg dahingezogen wird. Unablässig redend watschelte er in dem kleinen Raum auf und ab, vollzog an Tür und Fenster scharfe Wendungen, wobei er die Stimme anhob, und während er vom Herausbrechen des Erzgesteins aus dem Fels berichtete, bewegte er die kurzen Arme, als führe er eine Spitzhacke. Nur hin und wieder sah er zu seiner Schülerin hinüber, um sich ihrer Aufmerksamkeit zu versichern, und da Alinas Augen meist an ihm hingen, gab er sich der Illusion hin, sie höre ihm aufmerksam zu.
    Tatsächlich jedoch war sie mit ihren Gedanken weit fort. Wort für Wort rief sie sich zurück, was sie in dieser Nacht von ihrem dunklen Besucher erfahren hatte, und sie zweifelte nicht daran, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Kein Mensch konnte einen Drachen überwinden, also hatte der alte Recke nicht die ganze Wahrheit gesagt. Wenn ihr Vater vor über zwanzig Jahren die Wolfskrieger und ihre mächtigen Helfer besiegt hatte, dann musste er Beistand gehabt haben. Keinen menschlichen Beistand – Zwischenwesen hatten ihm zur Seite gestanden. Aber welche? Zwerge? Rabenkämpfer? Oder gar Feenkrieger?
    »Nachdem das Erzgestein herausgebrochen und zerkleinert wurde, gab man es in einen Ofen aus hart gebranntem Ton, der mit Holzkohle zu höchster Glut angeheizt wurde …«
    Aber niemand in der Burg hatte je etwas von solchen Zwischenwesen erzählt. Auch der alte Recke nicht, er hatte so getan, als hätten Angus und seine Ritter den Kampf allein gewonnen. Was würde ihr Vater tun, wenn sich die neu geschlüpften Drachen mit den Feinden verbündeten? Ach – so wie es aussah, wusste er noch gar nichts davon. Vielleicht lag er mit seinen Rittern längst erschlagen und zu Asche verbrannt am wandernden Fluss…
    »Wenn das Feuer heiß genug ist, beginnt das Eisen aus dem Stein herauszuschmelzen. Dann fließt es als glühender Brei, mit Gestein vermengt aus dem Ofen heraus …«
    Sie schauderte, denn vor ihren Augen erstand das Bild eines grauen Ungeheuers, das mit riesigen, weit gespannten Flügeln über dem Boden dahinglitt. Sein schwarzer Schatten fiel über die Ritter ihres Vaters, sie reckten drohend Schwerter und Lanzen in die Luft, doch das Wesen öffnete sein Maul, und eine gelbe Flamme fuhr über Reiter und Pferde dahin, schmolz die blinkenden Waffen, die Kettenpanzer und Helme zu rotglühenden Klumpen, und von den Kämpfern blieb nichts als schwarzer Rauch.
    »Hört Ihr mir zu, Alina?«, erkundigte sich Ogyn, den ihr starrer Blick nun doch misstrauisch machte. »Wiederholt bitte, was ich gerade sagte!«
    Ihr Gehör hatte seine Rede erfasst, auch wenn ihr Geist mit anderem beschäftigt gewesen war.
    »…als glühender Brei mit Steinen vermengt aus dem Ofen heraus …«
    Ogyn nickte zufrieden und wollte seinen ruhelosen Lauf wieder aufnehmen, doch er hielt inne und stieß ein wütendes Zischen aus.
    »Schschsch! Verschwinde, du dreckiger Dieb! Weg vom Fenster!«
    Alina fuhr zusammen und blickte zu den bunten Glasscheiben hinüber, die gerade in diesem Augenblick von den Strahlen der späten Morgensonne angeleuchtet wurden. Deutlich war dahinter die schwarze Gestalt eines Raben zu erkennen.
    »Was für ein frecher Bursche! Er will sich nicht verscheuchen lassen. Warte nur – ich geb dir was auf deinen krummen Räuberschnabel!«
    Ogyn war so zornig, dass er Mühe hatte, das Fenster zu entriegeln, als er es endlich aufriss, saß der Rabe immer noch auf dem Sims und starrte ihn aus blinkenden, schwarzen Augen an. Alina war von ihrem Hocker aufgefahren, erschrocken über den dunklen Besucher und

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