Schattengefährte
Vater?«
Macha löste sich von ihr und goss warmes Wasser in die Waschschüssel, denn ihrer Meinung nach hatte ihr Schützling eine gründliche Reinigung nötig.
»Niemand weiß, was der König denkt, Alina«, seufzte sie. »Die letzten Wochen sprach er kein Wort von dir. Er war rastlos tätig, überwachte die Ausbildung der neuen Kämpfer, ritt zu seinen Burgen, um dort die Mauern verstärken zu lassen, er trieb die Handwerker an, denn es werden Schwerter und Kettenpanzer benötigt, er ritt sogar selbst durch das Land, um den Bauern zu befehlen, Korn, Speck und Früchte in die Burg zu liefern. Mehrmals täglich kehren die Späher vom wandernden Fluss zur Burg zurück, um dem König Bericht zu erstatten …«
Macha tauchte in die Truhe ein und nahm frische Gewänder für Alina heraus, dann ließ sie den Deckel zufallen und setzte sich darauf.
»Aber seit vorgestern hat der König sich in seinem Wohngemach eingeschlossen, und nicht einmal Nessa darf zu ihm hinein. Es war jenes unerklärliche Geschehen am späten Abend, das ihm die Kraft geraubt und seine Stimmung verdüstert hat. Viele Burgbewohner haben es gesehen, und ihre Angst war groß. Ein rotgelber Blitz fuhr aus dem Nachthimmel in den Turm und hinterließ dort schwarze Asche, man kann sie jetzt noch oben auf den Zinnen sehen …«
»Hast du mit deinem Bruder darüber gesprochen, Macha?«
Die Alte warf ihr einen warnenden Blick zu, doch sie nickte.
»Wie kannst du dann von einem Blitz reden! Fergus hat den Drachen ebenso gesehen wie ich.«
Macha schwieg und streute Rosenblätter in Alinas Waschwasser. In ihrem Gesicht war keine Regung zu entdecken, und Alina kam der Verdacht, dass die alte Macha vielleicht über sehr viele Dinge Bescheid wusste, von denen sie niemals sprach. Eines der Fenster stand halb offen, und man konnte die vielen Raben auf dem Torgebäude sehen. Niemals zuvor hatten sich die schwarzen Vögel in solcher Menge in der Burg eingefunden, und man fragte sich, woher sie kamen. Eine schwache Hoffnung regte sich in ihr. Ob Fandur nicht vielleicht doch unter ihnen war? Aber weshalb hatte er sich ihr dann nicht gezeigt?
»Schließ das Fenster und häng ein Tuch davor«, befahl sie Macha.
Die alte Magd tat wie befohlen, ohne nach dem Grund zu fragen. Ahnte sie, dass Alina sich scheute, vor den gierigen Rabenaugen ihre Kleider abzulegen? Ahnte sie vielleicht sogar, dass nicht alle dieser Raben Tierwesen waren? Dass es auch Zwischenwesen unter ihnen gab, die sich als Krieger in menschlicher Gestalt in die Schlacht warfen und Gefallen an dem bloßen Leib einer Frau fanden? Wenn Macha von solchen Dingen wusste, dann hatte sie es bisher gut verborgen gehalten.
Es tat wohl, die schmutzigen Kleider auszuziehen und sich zu waschen. Macha half ihr dabei wie gewohnt, tauchte auch das lange Haar ihrer jungen Herrin ins Wasser und trocknete es mit einem frischen Tuch. Sie hatte ein einfaches Gewand für ihren Schützling ausgewählt, ein blaues Kleid aus feinem Wollstoff mit weiten, langen Ärmeln, das in der Taille von einem breiten Ledergurt zusammengehalten wurde.
Während Macha ihr das nasse Haar vorsichtig mit dem Kamm glättete, nahm Alina den kleinen Spiegel in die Hand, und jeder Augenblick ihrer letzten Begegnung mit Fandur stieg mit neuer Macht wieder in ihr auf. Seine Verspätung, sein Zögern, seine Versuche, mit ihr zu handeln. Hatte er geahnt, was ihnen bevorstand? Ach, sie hatte ihn so schmählich hintergangen, ihn beobachtet, während er sich in den Raben verwandelte …
Das Geschrei der jungen Kämpfer drang vom Hof her in ihr Gemach, eine Magd zeterte wütend, dass man ihr eines der frisch gebackenen Brote gestohlen habe. Dazwischen vernahm man immer wieder das Krächzen der Raben, ihre dunklen, heiseren Rufe, ihren beständigen Streit um die besten Plätze auf dem Dach des Torgebäudes.
»Sitz doch ein wenig gerade, Mädchen! Und schau nicht immer zum Fenster hinüber.«
Macha hatte das Tuch wieder entfernt, um mehr Licht in den Raum einzulassen, und man konnte jetzt die vorüberflatternden Schatten sehen. Wenn Fandur einfach nur zornig auf sie war, weil sie ihn hintergangen hatte und nichts mehr von ihr wissen wollte …
»… er hat sich davongeschlichen, nachdem Ihr ihm gegeben habt, wonach es ihn gelüstete …«
Hatte Fandur sie einfach nur verlassen? War ihr schöner Rabenkrieger ihrer überdrüssig? Sie hatte ihm gestattet, ihr Haar zu berühren, er hatte sogar ihre Haut streicheln dürfen und das am ganzen Körper
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