Schattengefährte
werden mussten. Die Blicke, mit denen die Frauen Alina maßen, waren voller Verachtung, einige von ihnen traten sogar hastig zur Seite, um auf keinen Fall von ihrem Gewand gestreift zu werden. Nur Asa wagte es, die Königstochter mit einem winzigen Lächeln zu grüßen, das jedoch sofort wieder von ihren Zügen verschwand, denn sie fürchtete sich vor Nessas Anhängerinnen. Schweigend ließen die Frauen Alina vorübergehen, doch kaum hatte sie die erste Windung der Treppe hinter sich gelassen, da vernahm sie schon das aufgeregte Geflüster.
»Dass die es wagt, frei in der Burg umherzulaufen!«
»Gewiss sucht sie nach ihrem schönen Liebhaber, der ihr davongerannt ist.«
»In den Kerker gehört sie, die Hure!«
»Wozu sie durchfüttern? Der König hat sie verstoßen – das Beste wäre, sie liefe davon. Sollen die Bären sie fressen oder die Wolfskrieger sie erschlagen, dann sind wir sie endlich los.«
Sie hätte sich besser die Ohren zugehalten, denn die boshaften Worte trafen sie tief. Ihr Vater hatte sie verstoßen, die ganze Burg schien davon zu wissen, nur ihr selbst hatte niemand etwas davon gesagt. Aber vielleicht war das ja gar nicht die Wahrheit, sondern nur eine der Lügen, die Nessa und Nemed über sie ausstreuten.
Sie wurde ein paarmal angerempelt, als sie über den Hof zum Pferdestall lief, denn die Knappen waren blind vor Eifer und glaubten, der Hof gehöre ihnen allein. Raben flatterten dicht über sie hinweg und stießen schnarrende Laute aus – sie war froh, im Stallgebäude verschwinden zu können. Viel Hoffnung hatte sie nicht, ihre Stute Niam hier zu finden, denn die Ritter, die vor der Burg ihre Kräfte übten, hatten vermutlich alle zur Verfügung stehenden Tiere gesattelt.
Doch Niam war da. In der hintersten Ecke des Stalles hatte man sie angebunden, sie war abgemagert und ihr Fell stumpf, doch als sie Alina bemerkte, hob sie den Kopf und empfing ihre Herrin mit fröhlichem Schnauben.
»Das dickköpfige Stütchen hat keinen der Ritter aufsitzen lassen, vermutlich bildet sie sich etwas darauf ein, das Reittier einer Fee zu sein.«
Alina war zu ihrer Stute gelaufen, um sie zärtlich zu begrüßen, doch beim Klang dieser Stimme hielt sie inne und drehte sich herum. Der Mann, der zu ihr gesprochen hatte, saß auf dem Boden, die Beine angewinkelt, seine Füße waren bloß, das grobe Gewand eines Stallknechts spannte sich um seinen Leib. Die Kerkerhaft hatte Ogyn mitgenommen, das sah man an den tiefen Rändern um seine Augen und an der grauen Farbe seines Gesichts. Doch sein Bauch hatte nicht an Umfang verloren.
»Ihr wundert Euch wohl, mich hier zu sehen«, sagte er mit einem bitteren Grinsen. »Euer Vater hat verfügt, dass ich von nun an den Pferdestall ausmisten darf, dazu tauge ich seiner Meinung nach besser als zum Gelehrten.«
Sie wusste nicht, ob sie lachen oder ihn bemitleiden sollte, denn im Vergleich zu seinem früheren pfauenhaften Auftreten sah er ziemlich jämmerlich aus. Auch seine hochnäsige Art war verschwunden, stattdessen schien er sich mit bärbeißiger Selbstironie zu behelfen, doch Alina spürte nur zu gut, welche Verzweiflung sich dahinter verbarg. Er hatte hoch hinaus gewollt, nun war er tief gefallen, damit musste ein ehrgeiziger Gelehrter erst einmal fertigwerden.
»Habe ich mich verhört, oder spracht Ihr gerade von einer Fee?«, erkundigte sie sich halb ungläubig, halb boshaft.
Als er zu ihr aufblickte schien ihr, seine Augen seien größer geworden, auch hingen die Unterlider herab und gaben dem Blick etwas, das an einen Hund erinnerte. Es lag viel in diesem Blick, Scham war darin und Reue, auch die Bereitschaft, den verdienten Spott zu ertragen.
»Ich habe einem schlechten Herrn gedient und mich verführen lassen«, sagte er mit dumpfer Stimme und zupfte sich einen Strohhalm aus dem grauen Bart. »Ihr seid klug, junge Herrin, und habt rasch begriffen, dass ich Euch belog.«
»Das habe ich«, gab sie kühl zurück, denn sie hatte wirklich keine große Lust, ihn zu bemitleiden. »Aber es ist gut, dass Ihr nun endlich zur Vernunft gekommen seid, Ogyn. Wer weiß – vielleicht wird sich mein Vater ja bald wieder besinnen und Euch wieder oben in Eurem Studierzimmer einquartieren …«
Ein kurzes, hilfloses Lachen zuckte über sein Gesicht, dann mühte er sich ächzend, auf die Füße zu kommen. Er musste sich dabei mit einem Arm gegen die Stallwand stützen, vermutlich hatte die Zeit im Kerker seinen Beinen nicht wohlgetan, denn sie zitterten unter ihm, als
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