Schattengefährte
ziemlichen Bauch angesetzt haben.
»Ihr hingegen schaut frisch und wohlgenährt aus«, entgegnete sie kühl und wollte an ihm vorbeigehen. Doch Nemed fasste sie beim Arm und hielt sie fest.
»Wie schade, dass Euer Ritter keine Gelegenheit fand, seine schöne Geliebte aus dem Turm zu befreien«, höhnte er. »Gewiss habt Ihr sehnlichst auf ihn gewartet.«
Sie verfluchte ihre weiße Haut, die ihre Gefühle so leicht preisgab, denn die Röte stieg ihr in die Wangen, ohne dass sie es verhindern konnte. Ja, sie hatte gewartet und sich gesehnt – wenn auch Nemed keine Ahnung davon hatte, wem ihre Sehnsucht galt.
»Er hat sich davongeschlichen, nachdem Ihr ihm gegeben hattet, wonach es ihn gelüstete – ist es nicht so?«
Ärgerlich riss sie sich los und lief einige Schritte in den Flur hinein, das braune Tuch jedoch blieb dabei in Nemeds Händen zurück.
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet!«
Er starrte voller Begierde auf ihr rotgoldenes Haar, das nun wieder unbedeckt war und im Halbdunkel des Flures ein sanftes Licht ausstrahlte.
»Ihr wisst es recht gut, Alina«, entgegnete er. »Ihr habt versucht, mit einem Liebhaber aus der Burg zu fliehen, weil Ihr Euch dem Willen Eures Vaters nicht fügen wolltet. Wahrscheinlich ist er ein armseliger Knecht, der sich niemals auf Euch hätte Hoffnungen machen dürfen. Nun aber, da er Euch feige verlassen hat, wird sich gewiss auch kein Ritter finden, der die Hurentochter des Königs heiraten mag!«
Er hielt das Tuch mit erhobenem Arm wie eine Beute und genoss seinen Triumph, denn sie war nicht in der Lage, auf diese Gemeinheit eine Antwort zu geben. Ihr Vater hatte seine schützende Hand von ihr genommen, jetzt war es ganz sicher.
Nie hätte Nemed in früheren Zeiten wagen dürfen, ihr eine solche Beleidigung entgegenzuschleudern.
»Wenn Ihr ein wenig Wärme benötigt, schöne Alina«, sagte er und deutete eine Verneigung an. »Ich stehe gern zu Eurer Verfügung. Mein Lager ist weich, und ich verstehe mich darauf, ein Mädchen glücklich zu machen. Vielleicht wäre ich sogar bereit, Euch trotz allem noch zur Frau zu nehmen – doch das kann ich erst entscheiden, wenn ich Eure Hingabe und Euren schönen Körper geprüft …«
Weiter konnte er nicht sprechen, denn Alina hatte einen Eimer mit Streu aufgehoben, den eine Magd im Flur hatte stehen lassen. Es war keine frische Streu, sondern solche, die schon einige Tage auf den Dielen in Nessas Gemach gelegen hatte, zwischen den kurzen Strohhalmen und Kräutern waren Essensreste, Haare, abgeschnittene Fingernägel und allerlei anderes Zeug, das sich am Boden angesammelt hatte. Nemed wich zurück, als der Inhalt des Eimers wie eine gelbbraune Wolke auf ihn zuflog, er nieste kräftig und prallte rücklings gegen eine Magd, die gerade mit einem Korb voller Geschirr aus dem Wohnraum ihrer Herrin Nessa trat.
Was sich weiter abspielte, konnte Alina nicht mehr sehen, denn neben ihr tat sich die Tür ihres Schlafgemachs auf, und die alte Macha zerrte ihren Schützling rasch hinein.
»Dass ihn die Drachen zum Frühmahl vertilgen!«, fluchte Macha, während sie die Tür verschloss. »Alles Unglück kam mit Nessa und Nemed in diese Burg, und das Übel wird uns auch nicht verlassen, solange diese beiden am Leben sind!«
Alina hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Doch dieses Mal weinte sie nicht vor Kummer – sie weinte vor Zorn. Noch nie zuvor hatte jemand sie so gedemütigt. Weshalb konnte sie nicht mit dem Schwert kämpfen, um ihre Ehre zu verteidigen? Oder wenigstens mit Pfeil und Bogen? Weshalb war sie nur eine Frau und hatte keine andere Waffe als einen Eimer voller Streu?
»Lass es gut sein, Mädchen«, murmelte die Alte, und sie schloss Alina in ihre Arme. »Er wird sein Ziel nicht erreichen, auch wenn er Intrigen spinnt und dich verleumdet. Dein Vater mag sich in manchen Dingen wohl täuschen lassen, doch seine Abneigung gegen Nemed ist zum Glück geblieben.«
Macha war zwar ein ganzes Stück kleiner als ihr Schützling, doch sie umfing das Mädchen mit festen Armen, und Alina schluchzte an ihrer Schulter. Es war plötzlich wieder so wie früher, da Alina noch ein kleines Mädchen war und Macha sie tröstend an ihrer Brust wiegte, wenn sie Kummer hatte. Macha hatte ihr die Mutter ersetzt, die so früh von ihr gegangen war. »Glauben die Leute, was Nemed ihnen erzählt?«, schniefte sie.
»Manche tun es, andere schweigen dazu. Viele müssen Nessa nach dem Mund reden und denken insgeheim anders.«
»Und was denkt mein
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