Schattengefährte
er würde sich eine jüngere Braut suchen.
»Wer einen sinnlosen Tod sterben will«, gab Nemed ungerührt zur Antwort, »der bleibe hier in der Halle – ich aber werde jetzt gehen, um das Tor zu öffnen, und wer mich daran hindern will, der bekommt mein Schwert zu spüren!«
Mit einer raschen Bewegung fasste er den Schwertgriff und zog die blitzende Waffe aus der Scheide. Einen Augenblick lang waren alle wie erstarrt, irrwitzige Hoffnung und Beifall spiegelten sich in vielen Gesichtern, in anderen war Verblüffung und wilder Zorn zu lesen.
Da zerschnitt eine laute, tiefe Stimme das entsetzte Schweigen.
»Lass sehen, was dein Schwert zustande bringt, Nemed.«
Alle Augen wandten sich zum Eingang, denn von dorther waren die Worte gesprochen worden. Ein Ritter stand auf der Schwelle, tiefschwarz war sein Waffenrock, silbern blitzte das Kettenhemd, das Arme und Schenkel bedeckte, auf dem Kopf trug er einen dunklen, bläulich schimmernden Helm, dessen breiter Nasenschutz es schwer machte, sein Gesicht zu erkennen. Man sah nur, dass er bartlos war, schön geschwungene Lippen und weiße Zähne besaß, denn als er so viele Blick auf sich gerichtet sah, lächelte er.
Niemand regte sich, denn dieser Fremde war wie eine Erscheinung, ein Traumbild, das Angst und Verzweiflung ihnen vorgaukelten und das schon im nächsten Moment vor ihren Augen zerfließen konnte. Woher kam er? Das Tor war geschlossen, er konnte die Burg nicht auf natürlichem Weg betreten haben. War er ein Geist, ein schwarzer Bote des Todes, der ihnen den nahenden Untergang ankündigte?
»Nun, Nemed?«, sagte der Fremde mit leichtem Spott. »Wolltest du dein Schwert vielleicht doch nicht gebrauchen? Es wäre auch töricht, denn ich bin ganz deiner Meinung. Wir sollten das Tor öffnen – allerdings noch nicht gleich.«
Er sah in die Runde und schien sich daran zu freuen, dass seine Worte die Verwirrung nun vollkommen gemacht hatten. Mit leichten Schritten ging er in die Halle hinein, und wer immer in seinem Weg stand, trat hastig zur Seite, denn langsam wurde deutlich, dass dieser Besucher kein Geist, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut war.
Einen winzigen Augenblick lang spürte Alina den Blick seiner schwarzen Augen, heiße Glut war darin, Triumph und blitzender Übermut, und ihr Herz hämmerte so heftig, dass sie sich nur mit Mühe auf den Beinen hielt. Sie hatte seine Stimme schon im ersten Augenblick erkannt, er war zurück, Fandur, der Rabenkrieger, in höchster Not war er gekommen, um sie und alle in der Burg zu retten. Aber wie wollte er das anstellen?
Selbstbewusst schritt er durch die Halle, und als er Nemed erreicht hatte, tippte er mit einer nachlässigen Handbewegung an das immer noch erhobene Schwert, worauf Nemed in seiner Verwirrung die Waffe sinken ließ.
»Wer seid Ihr?«
König Angus sprach die Frage im Flüsterton, denn auch er war unsicher, was von diesem schwarzen Gesellen zu halten war. Der Fremde schien auch nicht geneigt, den Helm abzunehmen, wie es in der Umgebung des Königs üblich war, doch immerhin deutete er jetzt eine leichte Verneigung an, die jedoch genauso gut an die neben ihrem Vater stehende Königstochter gerichtet sein konnte.
»Euer Gefährte im Kampf, Herr. Und ich schwöre Euch, dass Ihr keinen Besseren finden könnt, denn ich werde Eure Ritter zum Sieg gegen die Wolfskrieger führen.«
Selbst wenn er übernatürliche Kräfte besitzen sollte, so war diese Behauptung doch reichlich gewagt. Immerhin war das Heer der Wolfskrieger gewaltig und die wenigen Ritter in der Burg entweder zu jung oder zu alt, um für den Kampf tauglich zu sein. Geflüster entstand in der Halle, man schüttelte die Köpfe, einige lachten leise, anderen stand die Furcht in den Gesichtern.
»Wie könnte das gelingen?«
Der schwarze Kampfgefährte verzog die schönen Lippen zu einem belustigten Schmunzeln. Alina spürte wieder die Kraft seiner dunklen, samtigen Rabenaugen, als er sie mit dem Blick berührte, und ihr wurde unheimlich zumute. Trieb er sein Spiel mit ihrem Vater? Was hatte er vor, der listige Rabe?
»Ich habe Helfer, die mit uns kämpfen werden, Herr. Und ich selbst werde Euch anführen. Wenn Ihr mir vertraut, dann werden wir siegen.«
Es lag jetzt etwas in seiner Stimme, das ihr unbekannt war und das sie erschreckte. Alle Sanftheit und Wärme war daraus gewichen, es war der raue Ton des Kriegers, herzlos und begierig auf den Kampf, das Klirren von Schwertern schwang darin, das Schwirren der Äxte, der triumphierende
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