Schattengefährte
Erschütterung zu spüren, die das Gelächter in seinem Körper verursachte, es riss sie mit, und sie stimmte in sein Lachen ein. Fort waren jetzt alle Zweifel, die dummen Ängste, die sie geplagt hatten, lösten sich auf wie der Nebel am Morgen, er war bei ihr, Fandur, der sanfte, dunkle Gefährte, seine Stärke und sein Lachen waren unbesiegbar, und seine Wärme gab ihr Schutz.
Sie wagte es, den Kopf zu heben und erblickte den Mond, eine kleine, blasssilberne Scheibe, die im Begriff war, am Horizont zu versinken. Obgleich der Wind immer noch kalt und scharf über sie hinwegblies, zogen keine Wolken über den Himmel, doch die Sterne schienen seltsam matt, als habe jemand einen sanften Schleier über den Himmel geworfen, der das Licht der Gestirne fahl und schwach erscheinen ließ.
»Wo sind wir?«
»Kurz vor dem Ziel. Stecke den Kopf in mein Gefieder, Feenkind, dein Haar leuchtet so hell, dass man uns leicht entdecken könnte.«
»Wer sollte uns denn entdecken?«
Doch Fandur gab ihr keine Antwort, stattdessen sträubte er sein Kopf- und Rückengefieder so heftig, dass sie fast ganz darin verschwand. Sie spürte, wie kräftig jetzt seine Flügel arbeiteten, er hatte die Richtung geändert, kreiste nun mit weiten Schwingen, schraubte sich immer tiefer hinunter, und der Wind zerrte mit Macht an seinem großen Rabenkörper.
»Erschrick nicht. Halt dich gut fest!«
Sie tat seit Stunden nichts anderes, als sich an ihn zu klammern, es war so anstrengend, dass ihre Muskeln ihr jetzt kaum mehr gehorchen wollten. Als er urplötzlich in die Tiefe schoss, stieß sie einen erschrockenen Ruf aus, ihre Arme lösten sich, für einen Augenblick glaubte sie, verloren zu sein, dann jedoch fühlte sie seine zusammengelegten Schwingen über ihrem Rücken, die sie sicher hielten.
Die Landung war unsanft, denn er konnte die Flügel nicht mehr entfalten, um die Geschwindigkeit zu vermindern, und musste sich nur mit den Füßen abfangen. Eisiger Staub drang auf sie ein und nahm ihr fast den Atem, stach wie mit Nadeln in die bloße Haut. Als sie die Augen öffnete, erblickte sie um sich herum eine dichte Wolke kleiner Schneeflöckchen, die der Rabe bei seiner Landung aufgewirbelt hatte, sie glitzerten wie winzige Bergkristalle im Licht des untergehenden Mondes. Es hätte schön sein können, wenn es nicht so bitter kalt gewesen wäre.
»Lass mich jetzt los und tritt einen Schritt zurück.«
Sie waren also am Ziel angekommen. Fröstelnd stand sie in der Kälte, Schneeflocken sammelten sich auf ihrem Haar, sie raffte den Mantel eng um den Körper und sehnte sich nach dem warmen Rücken und den schützenden Flügeln des Raben. Jetzt, da der eisige Glitzerstaub langsam wieder zu Boden sank, wurde der Blick auf die Umgebung frei, und sie erschrak. Sie befanden sich auf einem Absatz am Hang eines Berges, direkt vor ihr fiel der schneebedeckte Fels steil in die Tiefe, das Tal unten war flach und dehnte sich als weite Ebene vor ihr aus. Erst in großer Entfernung waren dunkle, zackige Ränder zu sehen, die im Mondlicht wie Berge aussahen, aber genauso gut auch aufquellende Wolken sein konnten. Schaudernd erkannte sie das Tal wieder, in das sie niemals hatte zurückkehren wollen. Grau war das Gestein, schwarz die bizarr gebogenen toten Äste der Bäume, kalt schimmerte der gläserne Überzug aus ewigem Eis, der alles bedeckte. Und doch hatte sie hier jenen strahlend schönen, blütenumrankten Palast erblickt, der die Heimat ihrer Mutter gewesen war.
»Folge mir nun. Es ist nicht mehr weit.«
Er hatte die Gelegenheit genutzt, sich ungesehen wieder zu verwandeln und legte jetzt seinen dunklen Waffenrock um ihre Schultern, denn er hatte bemerkt, wie sehr sie fror.
»Wohin willst du mich führen?«, fragte sie und schmiegte sich in die Arme, die ihr das Kleidungsstück von hinten umlegten. Er hielt sie einen kleinen Moment umschlungen, sein weißer Atemhauch berührte ihre Wange, sein Blick folgte dem ihren hinunter in das grau vereiste Tal. Mit einer sachten Bewegung zog er den Waffenrock auch über ihr zerzaustes rotgoldenes Haar, dann nahm er sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum.
»Du wirst jetzt mein geheimes Reich kennenlernen, meine leuchtende Fee. Hab keine Sorge – es wird dir gefallen.«
Er hatte einen verschmitzten Ausdruck, als er jetzt lachte, er wirkte selbstsicher und unbefangen, doch in seinen schwarzen Augen las sie eine unbestimmte Sorge. Ganz so sicher, wie er sich vor ihr gab, war er wohl doch
Weitere Kostenlose Bücher