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Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Titel: Schattengesicht (quer criminal) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Wagner
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und zwinkerte zurück, doch plötzlich wurde Ina alles zuviel, sie schlug seine Arme weg und wich aus.
    Da seufzte er, machte mir ein Zeichen, und wir verschwanden nach draußen. Er riss die morschen Latten vom Zaun und nagelte neue auf. Es war eine schweigsame Arbeit, und der Zaun war lang. Hin und wieder brummte er mir „Zange“ oder „den größeren Hammer“ zu, und ich flitzte in den Geräteschuppen und brachte das Gewünschte. Ohne mich anzusehen, arbeitete er, und ich fühlte mich wichtig, so als würden wir ein Geheimnis teilen, das ich nur nicht verstand.
    Am nächsten Tag flatterte Ina durch den Schankraum in die angrenzende Küche, wo ich mit Carsten frühstückte, und rief von der Schwelle aus: „Bärchen!“ Ihr Haar flog, sie sah wunderschön aus, und ich warf ihr ein breites Grinsen zu. Er aber zog die Tür zum Schankraum zu und zischte: „Nicht vor den Gästen!“
    Sie wurde rot, und das Glitzern in ihren Augen verschwand. Wenn Carsten dann gegangen war, hockte sie sich vor mich, wühlte ihr Gesicht in mein Haar und murmelte: „Du bist ganz anders als der böse Carsten, du bist mein Kätzchen, meine Milanakatze“, und wenn ich mich versteifte, gluckste sie und sagte: „Oder nein, du bist mein kleiner, bockbeiniger Kater. Aber du gehörst mir …“ Dann ließ sie mich los und strahlte.
    Ja, sie waren eigenartig, alle beide, aber das faszinierte mich. Zumindest am Anfang. Am Anfang bogen sich die Tage unter all den neuen, ungewohnten Ereignissen.
    Dann fing das Schuljahr wieder an, und fast bedauerte ich es, weil ich einen halben Tag im Anker verpasste. Gleich nach Schulschluss stürzte ich nach Hause. Ich wusste noch immer nicht, ob die zwei mir gefielen, aber ich fand sie spannend, denn sie waren Gäste. Das Aufregende an Gästen war, dass sie nur kurz blieben.
    - - -
    Ein paar Wochen später aber waren sie immer noch da.
    Und langsam geschah, was stets nach einer gewissen Zeit mit Neuigkeiten geschieht: Ich gewöhnte mich daran. Ich verspürte nicht mehr den Drang, jede ihrer Bewegungen zu verfolgen, sondern stromerte wieder draußen im Wald herum. Ich kletterte auf die Hochsitze und sammelte Kastanien für die Rehe in großen Beuteln, die ich zum Förster brachte.
    Ich wusste nicht, dass ich eine Katastrophe provozierte. Ich wusste nicht, dass Carsten und Ina sich an das Mädchen gewöhnt hatten, das nichts Aufregenderes kannte, als jede Minute bei ihnen zu sein.
    Eines Abends, als ich durchs Gartentor rannte und wie immer die Abkürzung durch den Vordereingang in den Schankraum nahm, als ich, vom Gelächter der Männer begleitet, die ihr Feierabendbier tranken, in der Küche landete, schauten Carsten und Ina mich ernst an. Sie schauten, als wäre irgendeine Entscheidung gefallen.
    „Wo warst du?“, fragte Carsten.
    Ich löffelte meinen Bohneneintopf; ich war hungrig.
    „Es ist nach sechs. Willst du uns mit Absicht Angst einjagen?“
    Ich sah Carsten interessiert über meinen Teller an und sagte: „Quatsch.“ Dann löffelte ich weiter.
    Ma sagte: „Mila hat ihren eigenen Kopf. Sie war schon immer so.“
    Ina drehte sich zu ihr um und sagte: „Sie ist noch nicht mal zehn. Wenn sie sich jetzt schon rumtreibt – wie soll das erst mit fünfzehn werden!“
    Ich ließ den Löffel sinken und dachte darüber nach. Nach einer Weile entschied ich, dass es überflüssig war, darauf zu antworten. Ma dachte das offenbar auch, denn sie sagte: „Hättest du dich das nicht damals selbst fragen sollen?“
    Ina zog scharf die Luft ein und wollte etwas erwidern, da sagte Ma: „Es gibt keinen Grund für dich … hörst du, Ina, keinen Grund. – Daran hat sich nichts geändert!“ Die Worte waren leiser als vorher. Ich verstand nicht, was Ma meinte, aber es brachte Ina zum Schweigen.
    „Na, na – ihr werdet euch doch wohl nicht streiten“, sagte Carsten und lachte ein bisschen. Ina saß da wie ein Denkmal, aber dann lachte sie mit. Es klang künstlich.
    Kurz darauf, zu meinem zehnten Geburtstag, schenkten sie mir eine rote Digitaluhr. „Damit du das Abendessen nicht verpasst“, sagte Carsten und legte sie mir um das Handgelenk.
    Ich war stolz und lachte. Ich sagte: „Dafür brauch ich sie nicht. Ich seh die Zeit doch an der Kirche.“ Die Kirchenglocke schlug jede halbe Stunde. Sie schreckte dabei die Hunde auf, die dann aufgebracht in den Höfen herumliefen und jaulten, solange der Gong anhielt.
    Doch die Armbanduhr gefiel mir. Sie war cool. Sie zeigte nicht nur die Uhrzeit in Deutschland an,

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