Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
mich.«
Nysander verzog das Gesicht. »Wenn es dir die Sache erleichtert, dann sollst du wissen, daß er sich wohl auch nicht viel aus mir macht.«
»Aber er ist Euer Schüler!«
»Das ist kein Garant für Zuneigung, mein Junge, obwohl ein solches Verhältnis zwischen Meister und Schüler wünschenswert wäre. Deine Treue Seregil gegenüber nach so kurzer Zeit spricht für euch beide. Ich brauchte Jahre, um einen neuen Schüler zu finden. Wie ich schon erwähnte, gibt es nicht mehr viele, denen die Gabe angeboren ist, und die Fähigkeiten jener, denen sie eigen ist, sind recht unterschiedlich. Einige dieser wenigen, die Jahr für Jahr ihren Weg ins Orëska fanden, hielt ich für meine Zwecke ungeeignet, bis Thero kam. Was immer man von ihm denken mag, er ist außerordentlich begabt. Kein Gebiet unserer Kunst bleibt ihm verschlossen. Er entstammte der Familie meines alten Meisters, was damals auch ausschlaggebend war für mich. All das zusammen mit der Notwendigkeit, einen Nachfolger zu finden, machte mich blind einigen Aspekten seines Charakters gegenüber, die mich anderenfalls nachdenklich gestimmt hätten. Thero hat sich in jeder Hinsicht vertrauenswürdig erwiesen, jedoch sein Wissensdurst grenzt an Gier – das ist ein schwerer Makel bei einem Magier. Außerdem hat er keinen Sinn für Humor. Diese Eigenschaft ist zwar keine Grundvoraussetzung, um in eine Orëska aufgenommen zu werden, aber ich halte es für einen wesentlichen Charakterzug für jene, die nach der Macht streben. Da ihm der Humor fehlt, ist ihm mein Verhalten gelegentlich peinlich.
Seine Feindseligkeit Seregil gegenüber hat mich über die Jahre hinweg am meisten alarmiert, denn sie enthüllt Neid – eine der schlimmsten Schwächen. Er ist nicht zufrieden, Seregil ersetzt zu haben und begabter zu sein als er. Und obwohl er selbst mit meiner Zuneigung wenig anzufangen weiß, kann er nicht ertragen, daß Seregil sie erhält. Allerdings ist Seregil nur wenig besser, wie du sicherlich bald selbst sehen wirst. Aber Thero ist ein Magier. Wenn er sich in kleinen Dingen so verhält, wie wird er dann erst handeln, wenn Wichtigeres gefragt ist – wenn er selbst wichtig geworden ist?«
Nysander hielt inne und massierte sich die Lider mit den Fingern. »Denn er wird ein großer Magier werden, ob nun mit meiner Hilfe oder ohne sie. Deshalb behalte ich ihn, denn ich fürchte, er würde sich einen neuen Meister suchen. Meine größte Hoffnung ist es, daß er mit den Jahren und der Reife Mitgefühl entwickeln wird, und dann wird er ein wahrhaftig großer Magier sein!«
Alec erstaunte die Aufrichtigkeit des Magiers. »Seregil erzählt mir nichts von sich, und Ihr vertraut mir alles an!«
Nysander lächelte. »Wohl kaum alles! Wir alle haben unsere Geheimnisse und auch Gründe dafür. Ich habe dir von Thero und mir erzählt, damit du ihn besser verstehen kannst und vielleicht begreifst, warum er so handelt. Ich vertraue, ebenso wie Seregil, auf deine Verschwiegenheit.«
Nysander griff wieder nach seinem Pokal, als vor ihm eine gelbe Lichtkugel erschien. Sie schwebte ein wenig, glühte wie eine winzige Sonne, dann trieb sie sanft abwärts, um sich auf seiner ausgestreckten Hand niederzulassen.
Der Zauberer neigte den Kopf, als höre er eine Stimme, die Alec nicht vernehmen konnte. Sie verschwand so rasch sie gekommen war.
»Ylinestra«, erklärte Nysander. »Entschuldige mich einen Augenblick.«
Er schloß die Augen und hielt den Zeigefinger ausgestreckt, und ein ähnliches Licht, das kräftig blau leuchtete, erschien vor ihm. »Gewiß, Liebes«, sagte er zu dem Licht, »ich bin in Kürze bei dir.«
Er schnippte leicht mit den Fingern, und das Licht verschwand.
In Erwartung, daß Nysander ihn nun verlassen würde, erhob sich Alec und fühlte, wie ihm der Wein in den Kopf stieg. »Nun, ich denke, ich verstehe nun einige Dinge besser. Habt vielen Dank.«
Nysander hob eine Braue. »Es ist keine Eile. Ich habe eine Nachricht gesandt.«
»Nein, wirklich. Wenn Ylinestra auf mich warten würde … O verdammt!« stammelte Alec mit rot glühenden Lippen. »Ich meinte, daß – ich glaube, das ist der Wein.«
»Bei Illiors Licht, Junge, was soll Seregil nur mit dir anfangen, wenn man in deinem Gesicht lesen kann wie in einem offenen Buch?« schmunzelte Nysander, als er sich erhob. »Vielleicht hast du recht. Sie kann recht ungeduldig sein. Warum machst du nicht einen kleinen Spaziergang im Garten? Ich denke, du wirst es genießen, nachdem du so lange die Enge
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