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Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten

Titel: Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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mütterlicherseits.
    Ruhig musterte sie ihn durch ihre Maske.
    Dann setzte sie sich und hob eine zerbrechlich wirkende Hand, auf der das vollständige Emblem zu sehen war.
    »Spende mir dein Licht, Gesegnete«, sagte Seregil und neigte den Kopf.
    »Was verlangst du von mir, Suchender?«
    »Wissen, was dies hier betrifft.« Er holte das Pergament hervor und reichte es ihr.
    Darauf hatte er aus dem Gedächtnis das Symbol der hölzernen Scheibe gezeichnet. Er wußte, daß es nicht vollständig war, aber es wollte ihm nie gelingen, es gänzlich wiederzugeben oder sich daran zu erinnern.
    Orphyria entrollte es auf ihren Knien, betrachtete es kurz und gab es zurück. »Ein Sigla offensichtlich, aber was es verbirgt, kann ich nicht sagen. Kannst du mir etwas darüber berichten?«
    »Das ist nicht möglich«, erwiderte Seregil. Er hatte seinen Schwur Nysander gegenüber genug strapaziert.
    »Willst du das Orakel befragen?«
    »Hab Dank, Gesegnete.« Er erhob sich von der Bank, verbeugte sich tief und kehrte zurück in den Raum, der die Mitte des Tempels bildete.
     
    Orphyria erhob sich erst, als der Suchende fort war. Es schien jeden Tag schwerer zu werden. Bald würde sie ihren Stolz begraben und einem jungen Acolythen erlauben müssen, ihr behilflich zu sein. Der Preis der Weisheit im hohen Alter schien ihr recht hoch. Sie stolperte, als sie den Wandbehang zurückzog, und schlug mit dem Knie schmerzhaft gegen die Säule des Wahnsinns.
     
    Seregil hatte immer schon vermutet, daß die Stufen, die zu Illiorans Orakelkammer führten, dafür geschaffen waren, die Suchenden, die sie hinabstiegen, zu prüfen. In engen Spiralen führten keilförmige Stufen, die einem Fuß kaum genug Raum boten, hinab in die Finsternis. Die obersten Stufen waren aus Marmor, bald jedoch ging man auf gesprenkeltem Granit, als die Treppe tiefer ins Muttergestein unter der Stadt führte.
    In einer Hand hielt Seregil den rituellen Lichtstein und preßte die andere fest an die Wand, als er schweigend hinabstieg. Unten angekommen, folgte er einem unbeleuchteten Korridor. Es wurde von dem Suchenden erwartet, den Lichtstein in einem Korb am Fußende der Treppe zurückzulassen, ehe er weiterging. Zuvor jedoch setzte sich Seregil auf die unterste Stufe und richtete die nötigen Gegenstände für das Orakel.
    Dem Brauch gemäß mußten die Gegenstände für die Wahrsagung als Teil einer Sammlung vorgebracht werden.
    Das Orakel selbst suchte den in Frage kommenden Gegenstand aus, ohne darauf hingewiesen zu werden.
    Er suchte in seinen verschiedenen Taschen und fand ein Plektrum für die Harfe, eine Feder von Alecs Pfeil, etwas aufgerollten, gewachsten Zwirn, eine gebogene Stahlfeder, die er eigentlich auf dem Werktisch liegen lassen wollte, und ein kleines Amulett.
    Er strich das Pergament über dem Knie flach und betrachtete es. Dabei verspürte er erneut dieses bekannte Schuldgefühl. Heimlich hatte er mit Spiegel und Feder das seltsame Muster auf seiner Brust kopiert, ehe Nysander seinen Zauber darüber sprach. Er wußte, daß es dem Original nicht ganz entsprach, aber es mußte genügen, denn Nysanders Magie hatte die Haut makellos und glatt gemacht.
    Mit seiner eigenartigen Sammlung von Gegenständen in der Hand ließ er den Lichtstein in den Korb neben sich fallen und schritt in den frostig kalten Korridor hinab.
    Von all den verschiedenen Arten der Dunkelheit war ihm immer die unter der Erde, wo nicht einmal ein ferner Stern oder der Lichtschein einer Laterne Trost brachte, als die vollkommenste erschienen. Die Schwärze schien beinahe fühlbar um ihn zu wogen. Seine Augen begannen zu schmerzen, weil sie instinktiv nach etwas Sichtbarem suchten, und dabei doch nur Funken entdeckten, die der eigene Verstand ihnen vorgaukelte. Auf dem Boden lag ein aus grober Wolle gewebter Läufer, der das Tappen seiner kalten, bloßen Füße dämpfte. Das Geräusch seiner Atemzüge hinter der Maske klang ihm überlaut in den Ohren.
    Endlich erschien vor ihm ein fahles Leuchten, und er schritt in die Orakelkammer hinein. Das Leuchten entströmte großen Lichtsteinen, die weder zischten noch krachten. Hier brach nur die Stimme des Orakels die Stille.
    Das Orakel kauerte auf einem Podest. Es hatte die Füße unter der schmutzigen Robe verborgen und starrte ins Leere. Es war ein bärtiger junger Mann mit heiserer Stimme, der offensichtlich vom Wahnsinn berührt war, einem Wahn, der ihm den Weg öffnete, Ereignisse der Zukunft zu sehen und Wahrheiten zu erkennen.
    In seiner

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