Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
sie schließlich an den Fuß des Geröllhaufens, der den oberen Eingang blockierte.
»Das ergibt doch keinen Sinn!« rief Alec verärgert aus. »Wir haben gewiß etwas übersehen.«
»Wir haben genau das gefunden, was wir finden sollten«, murmelte Seregil und machte sich wieder auf den Weg nach oben. »Das hier dient auch der Ablenkung, es ist zu offensichtlich und zu gefährlich. Allerdings beweist es, daß der Turm keineswegs dem Verfall preisgegeben wurde. Sie verbergen hier etwas, soviel ist sicher.«
Nach einer Weile gelangten sie wieder an der Brustwehr an.
»Wir müssen uns nun beeilen«, mahnte Seregil und blickte zu den Sternen hoch. Der Morgen war nicht mehr fern.
»Und wenn dies nun nicht der richtige Weg ist?«
»Das ist auch möglich.« Seregil fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Allerdings verrät mir alles, was wir gefunden haben, daß wir auf der richtigen Spur sind. Sieh dich hier um, untersuche jeden Stein. Fang du dort in der Ecke an. Achte auf unebene Steine, klopfe dagegen, ob du eine hohle Stelle entdeckst. Die Zeit läuft uns davon.«
Alec hielt die Hand vor den Lichtstein und eilte zur Mauer, während Seregil im Schatten bei der Tür blieb.
Trotz Seregils Zuversicht suchte Alec ohne große Hoffnung auf Erfolg. Der Mörtel war hart, und die Steine fest miteinander verfugt. Er suchte gründlich, aber erfolglos, und der Mond sank tiefer.
Er ging noch einmal zur nördlichen Brustwehr, als sein nackter Fuß auf eine Vertiefung stieß, die er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Mit Stiefeln wäre sie ihm ganz entgangen, aber die losen Kiesel unter seinen Sohlen fühlten sich anders an, als die sonst so massiven Steine. Er ließ sich auf die Knie nieder und fand etwas, das sich wie eine mit Sand gefüllte Stelle anfühlte und kaum größer war als seine Handfläche.
»Seregil, komm rasch hierher!«
Gemeinsam entfernten sie den Sand und entdeckten eine quadratische Vertiefung im Stein. Am Fuße dieser Vertiefung war ein großer Bronzering eingelassen. Er war groß genug, daß man ihn greifen konnte. Alec zog fest daran und erwartete ein schweres Gewicht, das er heben mußte. Statt dessen hob sich ein unregelmäßig geformter Teil der Steine mit Leichtigkeit und enthüllte die quadratische hölzerne Falltür, die darunter angebracht war. Sie leuchteten hinein und entdeckten einen Schacht mit einer Leiter, der zu einer weiteren Tür führte.
»Gut gemacht!« flüsterte Seregil. Dann stiegen sie die Leiter hinunter und zogen die Luke über sich zu.
Die Tür am Fuße der Leiter hatte kein Schloß, nur einen krummen Griff, der vom Alter grün gefärbt war. Alec griff danach, aber Seregil hielt seine Hand zurück.
»Warte!« zischte er. Er holte ein Stück Schnur aus einer Tasche, machte eine Schlinge an einem Ende, führte sie über den Griff und zog daran. Als sich der Griff hob, war ein Klicken zu vernehmen.
Vier lange Nadeln ragten plötzlich aus dem Türgriff, so angebracht, daß sie gewiß die Hand eines Unachtsamen zerstochen hätten. Ihre Spitzen waren harzig schwarz. Als die Tür aufschwang, ließ Seregil den Griff los, und die Nadeln zogen sich zurück wie die Krallen einer Katze.
»Vertraue nie einem Schloß, das einfach aussieht«, warnte Seregil und bedachte Alec mit einem tadelnden Blick.
Von hier führte eine hölzerne Treppe entlang den eckigen Wänden des Turmes hinunter und an einigen Abzweigungen und Plattformen vorbei.
»Aber ja! Eine doppelte Treppe!« flüsterte Seregil und ging wieder voraus. Nun hielt er den Dolch in der Hand. »Eine war für die Dienerschaft gedacht, und das ist ein geheimer Fluchtweg für den Adel im Fall einer Belagerung.«
»Können wir denn auch auf diesem Weg hinaus, oder müssen wir zurück?«
»Das wird sich zeigen«, überlegte Seregil. »Vielleicht wurde der Ausgang blockiert, um zu verhindern, daß dieser Fluchtweg von Eindringlingen benutzt wird.«
Im Gegensatz zu den anderen Treppen schien die Holztreppe aus massiver Eiche ein alter Bestandteil der Burg zu sein. Seregil prüfte jede Stufe, und sie schien stabil genug.
Keine Bogensehnen waren hier gespannt und keine scharfen Klingen geschickt verborgen. Aus Erfahrung wußte er jedoch, daß er nicht unvorsichtig werden durfte. Hier mochten noch gerissenere Vorrichtungen ihrer lauern.
Die Treppe schien regelmäßig benutzt zu werden. Der Staub, der hier allgegenwärtig war, lag am Rand viel dicker als in der Mitte. Die Talglichter an der Wand rochen, als wären sie vor kurzem erst
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