Schattengilde 01 - Das Licht in den Schatten
vorbeigekommen, hatte ihn jedoch nie zuvor betreten. Die Gipswände des Mittelschiffs erstrahlten in phantasievollen Darstellungen diverser Unterwasserszenen und Ikonen, die einige der erwähnenswerteren Aufgaben der Gottheit darstellten.
Neben dem Hauptaltar schlummerte ein junger Akoluth. Sie gingen leise an ihm vorüber und fanden die Tür am anderen Ende des Tempels, die in den Lagerraum führte.
Gaben, Säcke mit Nahrungsmitteln für die Priester und diverse Möbelstücke waren dort ohne erkennbare Ordnung verstaut. Alec setzte sich auf eine hochkant stehende Kiste, während Micum sich offensichtlich nach etwas umsah.
»Ist sie nicht ein wenig weiter links?« meinte Seregil.
»Ich habe sie.« Micum öffnete eine Falltür im Boden.
Alec sah eine Leiter, die in die Dunkelheit führte. Kalte, nach Erde riechende Luft entströmte dem Schacht.
»Hoffentlich hat der Bürgermeister seinem Besuch nichts von diesem Gang erzählt«, meinte Seregil.
Micum zuckte die Schultern. »Ein guter Kampf entfacht das Feuer Sakors im Blut. Ich denke, wir alle könnten etwas Wärme gebrauchen.«
Seregil schenkte Alec ein trockenes Lächeln. »Er trachtet ebenso angestrengt nach Ärger, wie wir ihn zu meiden suchen.«
Mit schelmischem Lachen begann Micum die Leiter hinunterzusteigen.
Alec folgte ihm, während Seregil noch einige kleinere Kisten so anordnete, daß sie über die Tür fallen würden, sobald sich diese schloß.
Unten angelangt, kramte Micum in seiner Gürteltasche und holte einen kleinen, glühenden Gegenstand hervor. Ein blasser Schein ging davon aus, der durch die Finger leuchtete und einen kleinen Lichtkreis erzeugte.
»Magie?« fragte Alec und kam näher.
»Ein Lichtstein«, erklärte Seregil. »Ich habe meinen vor einigen Monaten beim Würfelspiel verloren, seither mühe ich mich mit Feuerstein und Stahl ab.«
»Leider gibt er keine Wärme ab«, meinte Micum, während er voranging. Das Licht enthüllte, daß sie sich in einem Tunnel befanden.
»Wo sind wir?«
»Das ist ein Fluchtweg, der aus der Stadt führt«, erklärte Micum. »Eine Abzweigung endet nahe am Strand und eine andere im Wald. Auch der Dalna-Tempel hat einen solchen Fluchtweg. Man legte sie an, um die Stadt im Falle einer Belagerung heimlich evakuieren zu können. Ich glaube jedoch nicht, daß es praktisch durchführbar wäre – vermutlich liefe man dem Feind direkt in die Arme. Aber es waren Händler, die sich die Sache ausdachten, und keine Generäle. Wie dem auch sei, ich denke, daß Seregil und ich die Wege während der vergangenen Jahre bestens nutzten.«
»Wohin jetzt? Zur Höhle?« Seregil zitterte sichtbar, als er versuchte, den steifen Mantel enger um sich zu ziehen.
»Das ist wohl das beste.«
Der Tunnel verlief in einer geraden Linie weg vom Fluß. Er bot kaum Raum genug für zwei Männer, die nebeneinander gingen, und die Decke war an manchen Stellen so niedrig, daß Micum sich ducken mußte. Balken stützten die feuchten Erdwände, die eine unangenehme Kälte abstrahlten. Flechten und blasser Pilzbewuchs zierten das Holz. Nach einer Weile teilte sich der Tunnel.
Micum bog nach rechts ab und zog sein Schwert, dann flüsterte er über die Schulter. »Halte die Augen offen. Junge, vielleicht bekommen wir Gesellschaft.«
Alec wollte nun auch sein Schwert ziehen, aber Seregil hielt ihn davon ab. »Laß es stecken«, meinte er. »Du hast gar nicht genug Platz zum Kämpfen, und wenn du stolperst, durchbohrst du vielleicht Micum. Sollten wir auf jemanden treffen, dann halte dich im Hintergrund und bleib aus dem Weg.«
Aber sie trafen niemanden, nur einige Ratten und gemächliche Salamander. Bald stieg der Weg sachte an und endete schließlich in einer schmalen Höhle. Es war kaum mehr als eine kleine Spalte im Gestein, und der Boden lief nach unten V-förmig zu, so daß das Gehen beschwerlich wurde.
Als sie in diesem schmalen Kamin nach oben stiegen, schürften sie sich Hände, Schienbeine und Köpfe auf. Oben angelangt, steckte Micum den Lichtstein wieder ein, dann kämpften sie sich durch ein dichtes Brombeergestrüpp, das den Eingang zur Höhle verbarg.
Alec sah sich um und stellte fest, daß sie sich irgendwo im Wald befanden. Eichen, Birken und Kiefern wuchsen hier sehr dicht. Der untergehende Mond warf fleckige Schatten durch das Blätterdach und hüllte den Boden am Fuße der Kiefern in Dunkelheit. In einigen Stunden erst würde die Sonne aufgehen. Alles war ruhig.
Seregil zitterte weitaus heftiger als seine
Weitere Kostenlose Bücher